Moorehawke 01 - Schattenpfade
sich zu lenken, klopfte Razi ihm aufs Knie. »Dieses Fieber«. »Hat es Euch stark geschwächt? Ermüdetet Ihr leicht? Littet unter Schwindel? Hattet Ihr häufig Schmerzen in den Hüften? Den Schultern?«
All das bestätigte Lorcan, woraufhin Razi die Lippen zusammenpresste und ihm eine Hand aufs Bein legte. »Es ist so: Ich glaube, dass das Fieber das Gleichgewicht Eurer Körpersäfte gestört hat. Ich kann es hier spüren«, er deutete auf Lorcans Leiste, »und auch hier und hier.« Jetzt zeigte er auf die Achselhöhle und den Kiefer.
Wynters Vater zuckte mit den Schultern. »Ja. Die Ärzte im Norden haben mir Ähnliches gesagt. Aber sie haben mich zur Ader gelassen und gesagt, die überflüssigen Säfte müssten abgeleitet …«
Jetzt knirschte Razi hörbar mit den Zähnen, und Wynter sah, wie er die Hände ballte. »Und seitdem wurdet Ihr regelmäßig zur Ader gelassen, richtig?«
Lorcan nickte.
»Dachte ich mir schon. Und bekamt Klistiere?«
Lorcan begegnete Wynters Blick, errötete und senkte den Kopf.
Razi brauchte offenbar einen Moment, um sich zu sammeln, er musste sich sichtlich zwingen, die Fäuste wieder zu lockern. »Also gut. Ihr müsst mir jetzt versprechen, dass Ihr niemals wieder einem Arzt erlauben werdet, Euch zur Ader zu lassen oder Klistiere zu verabreichen. Darauf muss ich bestehen.«
Jetzt wirkte Lorcan ehrlich verwirrt. Unschlüssig runzelte er die Stirn und leckte sich über die Lippen, die furchtbar trocken aussahen.
Biete ihm bloß kein Wasser an, dachte Wynter, denn sie wusste, dass ihr Vater niemals das Zittern in seinen Händen verraten würde, indem er einen Becher an seine Lippen führte.
»Trinkt«, befahl Razi da aber bereits, und Wynter zuckte zusammen. Zu ihrer Verwunderung gestattete Lorcan Razi, den Becher für ihn zu halten, während er trank.
»Die anderen Ärzte …« Lorcan räusperte sich. »Die anderen Ärzte sagten, es wäre meinem Körper zuträglich … die Gifte aus meinem Blut zu spülen.«
Razi schien zu überlegen, vielleicht, welches Wort er benutzen sollte, sagte am Ende jedoch nur: »Ich glaube, sie haben genügend Gifte abfließen lassen. Wenn diese Behandlung fortgesetzt wird … Meiner Meinung nach werden Eurem Körper mit der Zeit die guten Säfte entzogen, was Euch nur schadet. Also: keine Aderlässe mehr, keine Klistiere mehr. Einverstanden?«
Lorcans hellgrüne Augen richteten sich auf Razi; nie hatte Wynter ihn so offen und verletzlich gesehen. »Einverstanden. Aber was kann man tun?«
»Ihr müsst Euch ausruhen.«
Ihr Vater verdrehte die Augen und lehnte sich zurück. Razi zupfte an seinem Ärmel, streng forderte er: »Lorcan, das ist mein voller Ernst. Ihr braucht sehr viel Ruhe. Außerdem müsst Ihr gut essen und Verdruss meiden.«
Da musste Lorcan tatsächlich lachen, ein herzhaftes, echtes Lachen. Zwar ging ihm rasch die Luft aus, und er krümmte sich zusammen, doch das Grinsen blieb. Seine Heiterkeit war ansteckend. Razi und Christopher fingen ebenfalls an zu glucksen, und selbst Wynter lächelte. Verdruss meiden. Ha, guter Witz!
»Aaaah«, keuchte Lorcan, richtete sich vorsichtig auf und
umklammerte wieder die Sessellehnen. »Lachen ist doch die beste Medizin!«
Razi aber holte tief Luft und sah ihn durchdringend an. »Die giftigen Körpersäfte haben sich in Eurem Herzen angesammelt, mein lieber Freund. Ich kann sie da drin hören, sie stören Ebbe und Flut der Gezeiten Eures Körpers. Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ihr müsst unbedingt meine Anweisungen befolgen. Euer Leben hängt davon ab.«
Bei diesen Worten verschwand das Grinsen aus Lorcans Gesicht, und Wynter spürte einen stechenden Schmerz in der Brust.
Ihres Vaters Herz. Sein Herz. Wynter konnte sich noch erinnern, wie sie als kleines Kind auf seiner Brust gelegen und dem Brummen und Rauschen dieser Maschine gelauscht hatte, dieser Maschine, die stetig und unermüdlich unter ihrem kleinen Ohr gearbeitet hatte. Die sie in den Schlaf gewiegt, ihr versichert hatte: Alles ist gut, alles ist gut, alles ist gut .
Lorcan sah erst Razi an, dann Wynter, die grünen Augen leuchteten. Er lächelte und zuckte kaum merklich die Achseln, als wollte er sagen: Das wussten wir bereits, nicht wahr, mein Liebling? Dann zwinkerte er Wynter zu, und sie versuchte, sein Lächeln zu erwidern. Seit sie denken konnte, hatte er sich bemüht, ihr beizubringen, für sich selbst zu sorgen, sollte er einmal nicht mehr sein. Das war ihm gelungen, und nun waren sie endlich zu
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