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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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Razi ihr keinerlei Beachtung geschenkt. Stattdessen hatte er den ganzen Abend mit grüblerischer, verdrießlicher Miene lang ausgestreckt auf dem Thron seines Bruders verbracht. Hätte Wynter das Herz dieses Mannes nicht gekannt – sie hätte ihn für einen mürrischen, hartherzigen Schurken gehalten. Vor den Anwesenden hatte er sich damit keinen Gefallen getan.
    Diese Erinnerungen versetzten ihr einen scharfen Stich, niedergeschlagen drehte sie sich auf den Rücken. Sie könnte jetzt aufstehen, sich anziehen, etwas zu essen besorgen und sich um ihren Vater kümmern. Sie könnte früh mit der Arbeit in der Bibliothek beginnen. Doch sie schloss nur die Augen und ließ die feuchte Luft auf Gesicht und Arme sinken. Vögel zwitscherten leise ihren Morgengruß in den Orangenbäumen. Ein Hahn krähte bei den Stallungen. Traumverloren ließ sich Wynter treiben. Vielleicht würde sie ja wieder einschlafen, wenn sie sich nur genug löste.
    Sie hörte ihren Vater sagen: »Mir ist kalt«, und schlug die Augen auf, als jemand antwortete. Es war Razi. Ihre Stimmen waren leise, aber glockenklar in der stillen Morgenluft.
    »Sind es Eure Füße, Lorcan?«
    »Ja.«
    »Soll ich Euch aus Eurer Truhe noch ein Paar Strümpfe holen?«

    Lorcan entgegnete erschöpft, dass ihm das sehr recht wäre. Man hörte ein gedämpftes Schlurfen, dann Razi: »Ist es jetzt besser?«
    Es musste wohl so sein, denn Razi murmelte ein kaum hörbares: »Gut.«
    Wynter lag ganz still und starrte an die Zimmerdecke. Traurig lauschte sie der unbeobachteten Anständigkeit desselben Mannes, der erst gestern Abend mit finsterem Gesicht unbeteiligt beim Festmahl gesessen hatte. Er hatte jeden angeknurrt, der nur in seine Nähe geraten war.
    Sie hörte ihren Vater etwas brummen und Razis Antwort darauf: »Nur noch einen Tag, Lorcan! Um mehr bitte ich Euch ja gar nicht.«
    Lorcans Stimme klang verzerrt vor Hilflosigkeit. »Ich habe viel zu tun, Eure Hoheit. Ich muss die Arbeit in der Bibliothek überwachen! Und ich muss mir ein Bild davon machen, wie der Wind dort draußen steht! Es wäre verhängnisvoll, meine Stellung einzubüßen.«
    »Lorcan«, mahnte Razi sanft. »Ihr werdet sterben , wenn Ihr Euch nicht die Ruhe gönnt, um die ich Euch bitte. Deutlicher kann ich nicht werden. Ihr werdet sterben und unser wundervolles Mädchen ganz allein in dieser furchtbaren Misere zurücklassen. Ich kann nicht glauben, dass Ihr das wirklich wünscht.«
    »Nur weil ich einen verdammten Tag lang nicht im Bett geblieben bin?« Wynter konnte den Spott in seiner Stimme hören.
    Er bekam keine Antwort. Wynter wusste genau, welchen Ausdruck Razi jetzt auf dem Gesicht hatte, sie sah seine braunen Augen klar und deutlich vor sich: unnachgiebig und unbeirrbar. Und sie wusste ebenfalls, dass Lorcan tapfer versuchte, ihn durch seinen bohrenden Blick zum Einlenken zu
bewegen und scheitern würde. Leise setzte sie sich auf und schwang die Beine aus dem Bett.
    Aus dem Nebenraum kam kein Mucks. Dann gab sich ihr Vater mit einem Grunzen geschlagen.
    »Also gut«, sagte Razi ohne Triumph. Wynter hörte, wie er Gegenstände auf Lorcans Tisch ausbreitete. »Dann kann ich mich darauf verlassen, dass Ihr meine Anweisungen befolgt?« Es folgte eine Pause, in der ihr Vater wohl eine Geste gemacht oder etwas gebrummt haben musste. »Ganz ehrlich, Lorcan? Kein Herumhuschen hinter meinem Rücken? Denn ich werde heute nicht noch einmal zu Euch kommen können, und ich muss mich auf Euch verlassen.«
    »Ja! Ja, ist ja gut!«, kam es ungeduldig und schneidend.
    »Danke. Heute werde ich Euch kein Opium verabreichen, damit Ihr nicht zu begierig darauf werdet. Stattdessen lasse ich Euch dieses Haschisch hier. Esst je eine Portion zum Frühstück, Mittag- und Abendessen. Ich habe Anweisung gegeben, Euch gute, gesunde Mahlzeiten zu bringen …«
    »Klingt köstlich«, murmelte Lorcan abfällig.
    »Seid nicht so griesgrämig.«
    »Aber ich habe keinen Hunger.«
    »Das ist nur das Opium, das aus Euch spricht. Schon bald werdet Ihr einen Wolfshunger haben – besonders, wenn Ihr das Haschisch einnehmt. Das ist ein mächtiges Mittel, um verlorenen Appetit zu kurieren. Hier, trinkt das.«
    Wynter zog sich ihren Mantel über das Nachthemd und tapste in den Gemeinschaftsraum, um einen Blick in die Kammer ihres Vaters zu erhaschen. Razi stand über den gro ßen Mann gebeugt, das Gesicht ruhig und aufmerksam, die Hände ruhten auf dem Becher, aus dem Lorcan gerade trank. Er trug ein weites, weißes Hemd, Reithose und

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