Moorehawke 01 - Schattenpfade
hoch, schniefte kurz und resolut und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
Dann ging sie hinaus, um die Zeit bis zum Bankett mit den beiden ebenso ärgerlichen, wenigstens jedoch freudig zu ihrer Verfügung stehenden Irren im Nebenraum zu verbringen.
Als Wynter die Punkte aus den Spielen zusammenzählte, blickte Lorcan auf. Er senkte den Blick zurück auf seine Karten, hob dann jedoch mit gerunzelter Stirn erneut den Kopf. »Du siehst hübsch aus in dem Kleid, meine Kleine.«
Wynter gab sich Mühe, sich nicht zu verzählen. »Ich sitze hier seit geraumer Zeit, Vater. Hast du mich etwa erst jetzt bemerkt?«
Christopher legte den Kopf zurück und versuchte, die Augen etwas weiter zu öffnen. »Wie sieht sie denn aus?«
»Sie trägt ein Kleid.«
»Oh«, bemerkte Christopher. »Ich habe sie schon einmal in einem Kleid gesehen. Verflucht hübsch!«
Lorcan grinste selbstgefällig. Siehst du? , hieß das. Was habe ich dir gesagt? Dein Hadraer!
Wynter warf ihm einen warnenden Blick zu.
»Allerdings ist mir der Anblick ihres Hinterteils in einer Hose noch lieber«, brummelte Christopher, als er sich wieder seinen Karten zuwandte. Offenbar hatte er gar nicht bemerkt, dass er laut gesprochen hatte.
Wynter klappte der Unterkiefer herunter. Beunruhigt schielte sie zu ihrem Vater, dessen Augen die Größe von Untertassen angenommen hatten. Seine Hände wirkten plötzlich sehr groß und durchaus in der Lage, einen hadrischen Hals umzudrehen.
Lorcan beugte sich vor. Schon öffnete er den Mund, um den nichtsahnenden Christopher mit einem Wortschwall zu überschütten, als er durch die Schritte eines Soldatentrupps im Gang abgelenkt wurde.
Alle drei erstarrten, plötzlich wachsam wie die Hasen. Sie
hörten einen Schlüssel im Schloss zu Razis Tür, dann ein leises Schnappen und einen Aufprall, als sie geöffnet und wieder geschlossen wurde: Razi war zurück.
Alle hatten denselben Gedanken: Er würde nebenan niemanden vorfinden!
»Wynter?«, fragte Lorcan. »Hast du ihm eine Nachricht hinterlassen?«
Quiekend sprang Wynter auf die Füße. Christopher entfuhr ein bestürzter Laut, als man nebenan jäh eine Tür gegen die Wand schlagen hörten. Razi brüllte Christophers Namen, sie hörten ihn vor Schreck etwas umwerfen.
»Schnell, Wynter!« Christopher ruderte wild mit den Armen. »Bevor er wieder hinausläuft!« Doch da flog sie schon durch die Tür in den Geheimgang.
Er stand tatsächlich schon an der Tür, die Hand auf der Klinke, als sie durch den Hintereingang in seine Gemächer stürmte. »Razi!«, zischte sie. »Halt!«
Völlig außer sich vor Angst und Entsetzen wirbelte er herum. »Sie haben ihn geholt! Sie haben Christopher geholt!«, klagte er. »O mein Gott, Wynter!« Er presste sich die Hände an die Schläfen, riss fest an seinen Locken. »Gott im Himmel! Was habe ich nur getan!«
Wie der Wind war sie bei ihm und hielt ihn am Arm fest, zog ihn zu sich herab, um ihm in die Augen sehen zu können. »Alles ist gut«, flüsterte sie. »Christopher ist bei uns, Razi! Er ist drüben. Er spielt mit Vater Karten.«
Als ihre Worte zu ihm durchdrangen, lockerte Razi den Griff um seine Haare, und der Schrecken in seinem Gesicht verblasste.
»Ehrlich, Bruder, es geht ihm gut.« Sie tätschelte ihm den Arm. »Es tut mir leid, dass wir dir keine Nachricht hinterlassen haben. Wir haben gar nicht daran gedacht …«
Seine Augen wurden feucht. Kurz schloss er sie, dann machte er sanft ihre Hand von seinem Arm los, richtete sich zu voller Größe auf und blickte sich um, als hätte er keine Ahnung, wo oder wer er war.
»Komm mit.« Sie nahm ihn bei der Hand, und er ließ sich widerstandslos von ihr durch den Geheimgang in Lorcans Kammer führen.
Als Wynter eintrat, drehte sich Christopher hölzern und mit banger Miene zur Tür um. Razi kam nicht herein, er lehnte nur im Türrahmen und betrachtete die beiden Männer mit erschöpfter Erleichterung.
»Tut mir leid, Razi«, flüsterte Christopher zerknirscht.
Razi ließ den Kopf gegen die Wand sinken. »Hast du deinen Trank bekommen?«, fragte er, jedes Wort schien ihn übermenschliche Anstrengung zu kosten.
»Ja.«
Razi nickte. »Ich muss gehen«, murmelte er und drehte sich um.
Seine drei Freunde blickten sich besorgt an.
»Fürst Razi«, sagte Lorcan. »Geht Ihr etwa zum Bankett?«
Razi wandte nur leicht den Kopf, er stand immer noch mit dem Rücken zum Bett. Die Augen hatte er geschlossen. »Ich bin Eure Hoheit, der königliche Prinz Razi, Hoher Protektor
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