Moorehawke 02 - Geisterpfade
Christopher unterbrach ihn ungehalten. »Du weißt, dass ich das werde! Du hast mich doch erlebt!«
»Christopher.« Razis Ton war jetzt sehr klar und gemessen. »Das ist Jahre her, und du warst nicht bei Sinnen. Du warst im Fieberwahn.«
»Ich hätte dich umbringen können! Du hättest sterben können.« Erneut brach Christopher in Schluchzen aus, und Wynter hielt es nicht mehr aus. Sie taumelte um das Zelt herum und kroch durch den Eingang.
Beide Männer schraken zusammen, und Christopher heulte vor Entsetzen auf. »Nein! Nicht! Iseult, nicht!«
Sein Anblick trieb Wynter beinahe rückwärts wieder hinaus; das verquollene, fleckige Gesicht, die Verzweiflung im Blick. Er ist ein Wolf , dachte sie. Ein Wolf . Als er ihre Miene sah, drehte Christopher den Kopf weg, und Wynter krümmte sich innerlich vor Scham. Ach, du Närrin , dachte sie, es ist doch Christopher. Er ist Christopher, sonst nichts . Sie kämpfte
ihre eigene Feigheit nieder, kam ganz herein und ließ die Klappe hinter sich zufallen.
Razi hatte neben Ashkrs Bett gekniet und Christopher im Arm gehalten, doch nun entwand sich Christopher hastig und rutschte in die Mitte des Lagers zurück, den Kopf in die Hände gelegt, die Knie angezogen. Seine Füße und seine Brust waren nackt, er trug nur seine Hose, woraus Wynter schloss, dass er Razi endlich die Kratzwunden auf seinem Rücken hatte behandeln lassen.
»Christopher«, sagte sie begütigend. Stöhnend schüttelte er den Kopf, doch Wynter kam trotzdem näher. Christopher drückte das Gesicht noch fester auf die Knie.
Razi war besorgt. »Schwester«, bat er. Nicht. Sag bitte nichts .
Wynter stockte, bückte sich und zog unvermittelt ihre Stiefel und auch das Oberhemd aus. Behutsam kroch sie über die Felle auf Ashkrs Bett und kniete sich neben Christopher. Sie legte ihm die Hände auf den Rücken und hörte Razi hinter sich zitternd einatmen. Ganz nah beugte sie sich zu Christopher und flüsterte ihm ins Ohr.
»Diese Wölfe hätten mir wehgetan.«
Christopher schniefte durch die Nase, das Gesicht immer noch in den Händen verborgen. »Nn…«, machte er. »Sch… schschsch.«
»Aber du hast sie nicht gelassen«, sprach sie sanft weiter. »Sie wollten mir wehtun, aber du hast sie nicht gelassen.« Nun legte sie die Arme um ihn, und ohne Widerstreben ließ er sich an sie ziehen. »Das werde ich niemals vergessen«, flüsterte sie. »Nie werde ich das vergessen, Christopher. Dass du mich vor ihnen gerettet hast.« Sie spürte seine Hände zaghaft um ihre Taille, dann krallten sich seine Fäuste in den Stoff ihres Unterhemds.
»Du bist nicht wie sie.«
Eine kurze Weile weinte Christopher mit erschreckender Heftigkeit, sein gesamter Körper bebte, sein Gesicht war fest in Wynters Schulter gepresst. Dann umklammerte er sie mit aller Kraft und hielt den Atem an, bis er aufhören konnte. Sie hörte ihn schlucken und tief atmen und legte ihm die Hand auf den Hinterkopf.
»Ich lasse dich nicht gehen«, wisperte sie, die Lippen an sein Ohr gedrückt. Christopher zog sie noch näher an sich und legte die Stirn an ihren Hals. »Versprichst du mir dasselbe, Christopher? Versprichst du es? Mich niemals gehen zu lassen?« Es dauerte einen Moment, doch dann nickte er, und sie schloss erleichtert die Augen und schmiegte die Wange an sein Haar.
Leise stand Razi auf. Als Wynter ihn ansah, hielt er einen Finger an die Lippen. »Ich gehe nur nach Sólmundr sehen«, sagte er. »Er gehört ins Bett.«
Wynter nickte lächelnd, aber plötzlich breitete sich Entsetzen auf ihrer Miene aus, und sofort ging Razi wieder neben ihr in die Knie. »Was ist denn?«, fragte er.
Christopher rührte sich nicht mehr in Wynters Armen, und nun spürte sie, wie sich seine Fäuste abrupt von ihrem Hemd lösten und ihren Rücken hinabglitten. Er war bewusstlos. Razi runzelte die Stirn und drückte seinem Freund die Finger an den Hals, um nach seinem Puls zu fühlen. Dann zog er aufatmend die Hand zurück. »Er schläft, Wynter, das ist alles. Hier, lass mich mal … so ist es gut.«
Zusammen betteten sie Christopher auf die Felle. Einmal öffnete er noch kurz die Augen, sah sie verschwommen an, dann rollte er sich auf die Seite, klemmte die Hand unter das Kinn und schlief wieder ein.
Razi betrachtete ihn prüfend.
»Es wird aber auch Zeit«, sagte Wynter.
»Ich … ich sollte nach Sólmundr sehen.«
Trotz seiner gefassten Miene klang Razi furchtbar aufgewühlt, und ehe er sich entfernen konnte, zog Wynter ihn heftig an sich.
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