Moorehawke 02 - Geisterpfade
Doch dann schloss er die Augen und entwand sich ihrem Griff. »Hol Sól«, flüsterte er.
»Was?«
»Sól.« Sanft schob er sie von sich fort.
»Chris …« Sie machte ein paar taumelnde Schritte rückwärts, die Angst drohte, ihr die Kehle zuzuschnüren. »Chris.« Sie hob die Hände. »Was …«
»Hol Sól !« Sein jäher Aufschrei jagte ihr einen solchen Schreck ein, dass sie einen Satz machte und quiekte. »Ich will Sól.« Das letzte Wort heulte er geradezu, woraufhin Wynter noch weiter zurückwich. Christopher stöhnte laut auf und wankte ins flache Wasser, die Fäuste an die Schläfen gepresst.
Da fiel ein langer Schatten über sie beide, und Wynter wirbelte herum. Ashkr stand am Rande des Sonnenscheins
und starrte Christopher unverwandt an. Instinktiv stellte sich Wynter zwischen die beiden, das Schwert halb gezogen. Zurück mit Euch! Doch Ashkr sah ihr direkt in die Augen und machte einen Schritt auf sie zu. Sanft schloss er seine Hand um ihre und drückte sie nach unten, bis ihre Klinge wieder in der Scheide steckte. Dann ging er einfach an ihr vorbei und watete zu Christopher in den Fluss.
»Coinín«, sagte er.
Erneut stieß Christopher ein langes, verzweifeltes Stöhnen aus und krümmte sich nach vorn.
Wynter machte drei, vier spritzende Schritte auf die beiden zu, aber er schrie auf und drehte sich weg. »Nein! Nicht sie. Sagt ihr, sie soll weggehen. Holt mir Sól, Ashkr, ich will Sól.«
Gekränkt blieb Wynter stehen.
Ashkr aber zog Christopher ganz allmählich, sehr sanft zu sich herum, bis der gesenkte Kopf des jungen Mannes an seiner Brust lag. Christopher drückte sich an ihn, und Ashkr sah Wynter über seinen Scheitel hinweg an. Lautlos weinend, die Hände vor den Mund gepresst, stand sie dort, sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ganz langsam legte Ashkr die Arme um Christopher und zog ihn fest an sich.
Gesprochen
S ie nahmen Wynter Schwert und Dolch ab und brachten sie zu Emblas Zelt. Razi war bereits dort, und sobald sie sich in den Eingang duckte, sprang er auf die Füße, die Fäuste erhoben, bereit zum Kampf.
»Ich bin es nur.« Beschwichtigend hob sie die Hände.
Er kam auf sie zu, fasste sie bei den Schultern und blickte hinter sie. »Wo ist Christopher?«
Wütend schüttelte sie ihn ab. »Sie haben ihn weggebracht! Er wollte mich nicht sehen, er wollte nur Ashkr und Sólmundr bei sich haben, und sie haben ihn weggebracht!«
Razi verbarg das Gesicht in den Händen, drehte sich um und stapfte ans andere Ende des puballmór .
»Du hättest es mir sagen müssen!«, fauchte Wynter ihn an, und Razi schüttelte wortlos den Kopf. »Wie konntest du es wagen, mir das nicht zu erzählen?«
Da wurde die Zeltklappe aufgeschlagen, und eine große, dunkle Gestalt erfüllte den Eingang. Mit einem Satz war Razi bei Wynter und zog sie hinter sich. Das Leder fiel zurück, und sie erkannten Ashkr, ernst und still, der von einem zum anderen sah.
»Tabiyb«, sagte er. »Coinín sagt, Ihr wusstet es schon immer, aber Ihr sprecht nie davon.«
Razis Wangen färbten sich rot, er wandte den Blick ab.
Ashkr musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Also sagt Coinín die Wahrheit«, fuhr er leise fort. »Ihr schämt Euch für ihn.«
»Nein!«, rief Razi. »Aber nein, natürlich nicht …«
»Doch«, widersprach Ashkr. » Doch! Ihr schämt Euch. Ihr versteckt Coiníns Natur. Sogar vor seinem croí-eile muss er sie verbergen.«
»Nein«, wehrte Razi verzweifelt ab. »Das war Christophers Entscheidung. Er hat diesen Teil von sich immer unterdrückt! Er wollte nie …«
Ashkr trat ganz dicht vor Razi hin. »Dann kommt jetzt«, forderte er ihn auf. »Kommt und redet. Sagt Coinín, dass er gut ist.«
Razi ließ die Arme sinken, und Wynter entdeckte Schuldgefühle und Hilflosigkeit in seiner Miene. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich … ich wusste nie, was ich sagen soll.«
Sofort wurde Ashkrs Gesichtsausdruck weicher, und er legte Razi die Hand in den Nacken. »Seid einfach sein Freund, Tabiyb. Das ist alles, was Coinín von Euch braucht – zu wissen, dass Ihr seid sein Freund.« Mit einer freundlichen, seltsam väterlichen Geste strich er Razi das Haar aus der Stirn. »Alles wird gut«, sagte er, dann wandte er sich an Wynter. »Iseult. Ich möchte mit Euch sprechen.«
Erschrocken fasste Razi Ashkr am Arm. »Nein! Christopher würde nicht wollen, dass wir …«
Ohne Hast löste Ashkr Razis Finger von seinem Arm und wandte sich erneut Wynter zu, die ihn böse ansah; ihre Wut auf Christopher
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