Moorehawke 02 - Geisterpfade
Ganz kurz fügte er sich in die Umarmung, ließ das Kinn auf ihre Schulter sinken und drückte sie; dann schob er sich von ihr fort. »Ich bin bald zurück.«
Etwa eine halbe Stunde später sah Wynter Razis Schatten um das Zelt herumlaufen. Sie lag neben Christopher, hielt seine Hand und lauschte seinem friedlichen Atem. Seit Razi gegangen war, hatte er sich nicht gerührt, sein Geist hatte seinem Körper endlich gestattet, sich der Erschöpfung der letzten Tage zu ergeben. Wynter zweifelte nicht daran, dass Sólmundr ihm sein Bett überließe, solange er es nur brauchte, weshalb sie still liegen blieb, als Razi die Klappe vor dem Eingang zurückschlug.
»Er schläft noch«, setzte sie an, doch es war gar nicht Razi, sondern Ashkr, und seine Miene raubte Wynter das Lächeln. Sie setzte sich auf und legte Christopher schützend die Hand auf die Schulter. »Er schläft , Ashkr«, wiederholte sie.
Ashkr hielt ihre Hüte in der Hand, kam zu ihr ans Bett und gab sie ihr. »Es ist heiß geworden draußen«, sagte er. Wynter nahm sie grimmig entgegen, sie wusste schon, dass es mit Christophers Ruhe vorbei war.
»Wo ist Razi?«, fragte sie.
Ashkr antwortete nicht, ging stattdessen neben dem Bett in die Hocke und rüttelte Christopher leicht.
»Coinín«, raunte er. »Wach auf.«
Mit einem Prusten kam Christopher zu sich. »Cad é?« ,
krächzte er, strich sich mit der Hand übers Gesicht und leckte sich über die trockenen Lippen.
Ashkr griff hinter ihn, entkorkte einen Wasserschlauch und bot ihn Christopher an, der sich auf die Ellbogen stützte und seinen Durst stillte. Während er trank, sah Wynter ihm an, dass die Erinnerung an die letzten Geschehnisse allmählich zurückkehrte, und einen flüchtigen Moment lang befürchtete sie, er würde sie wieder von sich stoßen, wie er es anfangs getan hatte. Doch dann grinste er etwas unsicher. Beide schwiegen sie weiterhin schüchtern, weil sie nicht wussten, wo sie anfangen sollten.
»Geht es dir gut?«, fragte Wynter schließlich.
Er bejahte.
»Und …« Sie betrachtete ihr wollenes Armband, scheute sich zu fragen. »Sind wir … Christopher, sind wir uns noch einig?«
Mit großen Augen blickte er sie an, er wirkte erschreckend verunsichert. Doch dann nickte er.
Sie legte den Kopf schief. »Dann, Freier Garron: Wie lautet mein Name?«, fragte sie streng. »Den scheinst du in letzter Zeit völlig vergessen zu haben.«
Endlich zuckten Christophers Lippen, seine grauen Augen blitzten in altvertrauter Heiterkeit auf. »Dein Name«, er nahm ihre Hand, »lautet Iseult Ní Moorehawke Uí Garron, und du bist mein croí-eile .«
Sie lächelten einander noch etwas wackelig an, und Wynter strich mit dem Daumen über den gezwirbelten Wollfaden an seinem Handgelenk. »Gut«, sagte sie leise. »Gut.« Dann quetschte sie ihm ohne Vorwarnung die Finger zusammen, dass er aufjaulte. »Vergiss das bloß nicht wieder«, drohte sie.
»Aua!« Christopher schüttelte seine Hand aus. »Ein Drachen.« Er stöhnte. »Ich habe mich an einen verdammten
Hausdrachen gekettet! Mein Leben ist ruiniert.« Doch ein Seitenblick auf Ashkr erstickte sein Lachen.
Die beiden Männer sahen einander wortlos an, ihre Mienen verrieten, dass sie einander auch so verstanden. Ashkr zögerte noch, dann aber drückte er den Rücken durch und räusperte sich. »Ich möchte Rat halten«, erklärte er.
Christophers Augen weiteten sich. »Rat halten? Aber warum?«
Ashkr wandte sich ab. »Was Ihr mir gestern sagtet … davon, dass hier kein Platz für uns ist.« Er warf Christopher einen kurzen Seitenblick zu. »Ich wünsche, dass Ihr Euer Anliegen vortragt. Ich möchte es ausführlich hören. Ich möchte, dass alle es ausführlich hören. Damit wir eine Wahl treffen können.«
Wynter sah, wie sich Erregung in Christophers müdes Gesicht schlich. »Werden sie denn einen Rat gewähren?«, fragte er. »Ich kann mir nicht vorstellen … es ist sehr spät, Ashkr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einwilligen würden.«
»Ja«, gab Ashkr ihm recht. »Es ist sehr spät. Wir wurden schon aufgehalten, weil Sól krank ist.« Er hob den Blick, betrachtete den Bären und das Lamm auf der ledernen Zeltwand. »Aber Úlfnaor, er wird zustimmen, glaube ich. Es kommt mir vor, als würde er in seiner Pflicht zaudern, und ich glaube, er würde eine Verzögerung begrüßen. Sól auch, wenn es nicht zu lange dauert und wir nicht zu leiden haben, während wir warten. Aber meine Schwester …« Seine Miene
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