Moorehawke 02 - Geisterpfade
finden, in der Hoffnung, ihm den Wunsch seines Vaters nach Versöhnung zu überbringen und Friedensverhandlungen zu eröffnen.« Razi sank auf ein Knie, die Waffen weiterhin dargeboten. Unterwürfig neigte er den Kopf. »Doch diese Loup-Garous
werden mich töten, bevor ich meine Pflicht erfüllen kann, Aoire. Ich kann meine Gefährten nicht länger den Gefahren des Reisens aussetzen. Ich liefere mich Eurer Gnade aus und hoffe, Ihr versteht, dass das, was gut für dieses Königreich ist, letzten Endes auch gut für Euer Volk sein wird. Ich bitte Euch um Euren Schutz, Aoire. Ich bitte Euch um Euren Schutz auf dem Weg zum Prinzen.«
Wynter warf sich neben Razi auf die Knie, ihr Blick flackerte zu Úlfnaor empor, der unsicher wirkte. »Razi!«, raunte sie ihm zu und legte ihm die Hand auf den ausgestreckten Arm. »Razi, hör auf damit. Das kannst du nicht tun.«
Razi jedoch sah sie nicht an, bot nur weiterhin demutsvoll und mit gebeugtem Haupt seine Waffen dar.
Jetzt zupfte Wynter an seinem Ärmel, flehte ihn auf Südlandisch an. »Sie werden dich umbringen! Christopher sagt …«
»Das ist gleichgültig.«
»Razi! Hast du nicht gehört? Sie werden …«
»Es ist gleichgültig, Wyn. Ich werde dich nicht allein zurück in den Wald bringen.«
»Erzählt es ihm!«, wandte sich Wynter an Embla. »Erzählt ihm, was Christopher zu Euch gesagt hat. Bitte!«
Entsetzt riss Embla die Augen auf, sie trat einen Schritt zurück, die Hand auf den Mund gelegt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. »O bitte, edle Dame, bitte !«, beschwor Wynter sie und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Bitte, sagt ihm, dass er hier nicht bleiben kann.«
Embla aber schwieg, und Wynter sah sich nach Christopher um oder nach Ashkr oder Sólmundr – irgendjemandem, der sie vielleicht unterstützen würde. Doch sie waren nirgends zu entdecken.
Nun legte Úlfnaor seine Hand auf den Griff von Razis
Dolch. Wynter sah dem Mann in die dunklen Augen. »Nicht, Aoire«, flüsterte sie. »Ich bitte Euch.«
Úlfnaor aber sah sie nur ohne Gemütsregung an, nahm Razi seine Waffen ab und gab sie an Wari weiter.
Langsam stand Wynter auf, sie rechnete damit, dass der Aoire auch ihr Schwert verlangen würde. Úlfnaor ließ sie zwar nicht aus den Augen, machte jedoch keine Anstalten, sie zu entwaffnen. Razi ließ seine leeren Hände herabsinken, den Blick immer noch zu Boden gerichtet, und Embla starrte ihn weiterhin wortlos, mit auf die Lippen gepressten Fingern an.
Schritt für Schritt zog sich Wynter rückwärts aus dem Kreis zurück. Ihre Ferse stieß gegen etwas; es rollte in den Staub, und ohne nachzusehen, wusste sie, dass es der abgetrennte Kopf war. Dann blieb sie mit dem Fuß am leblosen Körper des Wolfs hängen, schob sich seitlich daran vorbei, den Blick auf Razi und die schwer bewaffneten Männer um ihn herum geheftet. Úlfnaors dunkle Augen folgten ihr, dann teilte sich die Menge, und bald darauf fand sich Wynter jenseits des Kreises wieder. Einen letzten Blick noch erhaschte sie auf Razis kniende Gestalt, verletzlich und wehrlos, inmitten der schweigenden Krieger. Dann schlossen sich die Reihen der Merroner wieder, und Razi war nicht mehr zu sehen.
Wynter rannte zum Fluss, ihre innere Stimme führte sie zu dem kleinen Strand, an dem sie Christopher schon einmal gefunden hatte. Und tatsächlich waren dort Fußabdrücke im Sand, und im Schatten der Weiden am anderen Ende erkannte sie seine schlanke Gestalt.
»Christopher«, schrie sie und rannte auf ihn zu. »Christopher!«
Sein gequälter Blick ließ sie einige Fuß von ihm entfernt anhalten; er sah sie nur kurz an und drehte dann den Kopf weg wie jemand, der darauf wartet, dass er mit einem Stein beworfen wird. Die schrecklichen Worte des Wolfs hingen zwischen ihnen wie eine dunkle Wand, und einen Augenblick lang zögerte Wynter. Doch dann folgte sie einfach ihrem inneren Antrieb.
»Christopher!« Sie stürmte zu ihm hin und fasste ihn am Arm. »Razi hat uns alle Úlfnaors Schutz ausgeliefert! Ich habe ihm gesagt, er soll es nicht tun, ich habe ihm gesagt, dass sie ihn töten werden, aber er hat nicht auf mich gehört! Úlfnaor hat ihm seine Waffen abgenommen, Chris. Razi hat ihm erzählt, er sei im Auftrag des Königs unterwegs! Was sollen wir denn nun tun?«
Mit leerem Blick starrte Christopher sie an, und Wynter rüttelte ihn verzweifelt. »Christopher! Hilf mir! Was tun wir denn jetzt?«
Ratlos blickte er sich um, er wirkte einen Moment lang vollkommen verloren.
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