Moorehawke 02 - Geisterpfade
Stimme, und sie hörte ihm zu.
»Wir waren ein Geschenk für ihn, musst du wissen, die berühmte Garron-Truppe. Bei unserem Anblick hatten die Wölfe sofort gewusst, dass ihr Vater uns würde besitzen wollen. Also brachten sie uns zu ihm, beziehungsweise das, was nach der mörderischen Reise noch von uns übrig war. Noch mehr kleine Äffchen für Andrés Menagerie.« Jetzt endlich wandte er sich Wynter zu, nahm sie wirklich wahr, sah ihr Gesicht statt der längst vergangenen Bilder. »Razi hat mir später erklärt, dass André kein Recht hat, es Harem zu nennen, dass es nichts mit einem Harem gemein hat. Er sagte, das Wort Harem beinhaltet Schutz und Achtung. Aber so geht es auf Andrés Gut nicht zu. Diese beklagenswerten Frauen … gepeinigt und missbraucht und von allen Wölfen gemeinsam benutzt. Meine armen Mädchen. Meine armen …«
»Warum haben sie dich verkauft, Christopher? Und deine Mädchen nicht? Warst du nicht …«
»Ich sollte eigentlich nicht verkauft, sondern mit ihnen zusammen eingesperrt werden. Aber ich bin ein Mann , verstehst du, ein männlicher Sklave. André hätte niemals zugelassen, dass ich Umgang mit seinen Frauen habe.«
In der Hoffnung, es nicht aussprechen zu müssen, sah er sie eindringlich an. Doch er musste wohl an ihrer Miene erkannt haben, dass sie nicht ganz begriff. »Vorher mussten sie … vorher hätten sie mich kastrieren müssen.« Ohne Wynters bestürztem Keuchen Beachtung zu schenken, fuhr er fort: »André besteht allerdings darauf, diese Arbeit selbst zu erledigen. Das überlässt er nie jemand anderem, aus Angst,
die Ware könnte beschädigt werden. Wie es heißt, ist er sehr versiert darin. Egal, wie alt die Sklaven sind, sie sterben nur höchst selten. Kaum je entzündet sich die Wunde auch nur.« Christophers Lächeln bei diesen Worten war eine bittere Grimasse. Wynter nahm seine Hand und drückte sie fest, doch er schien die Berührung nicht zu spüren.
»Ganz bestimmt hätte er es auch bei mir sehr ordentlich gemacht, wenn er Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber Le Garou war zu dieser Zeit in Fez, und seine Söhne hatten dringende Geschäfte außerhalb der Stadt zu erledigen, weswegen ich in der Obhut von Sadaqah al-’Abbas gelassen wurde, einem ihrer Zwischenhändler. Er erklärte sich bereit, mich bis zu Le Garous Rückkehr in einem seiner Pferche aufzubewahren.« Christopher wurde still, seine Kräfte schienen ihn verlassen zu haben, und so saß er einfach nur da, das Kinn fast auf die Brust gesenkt, und ließ Wynter seine Hände halten.
Als länger nichts mehr kam, rüttelte Wynter ihn sehr sanft, und Christopher sprach weiter wie eine frisch aufgezogene Uhr. »Sadaqah beschloss, sich ein bisschen Geld nebenher zu verdienen. Deshalb vermietete er mich für die Dauer der Hochzeitsfeierlichkeiten an Hadil, heimlich natürlich. Und so traf ich Razi. So rettete Razi mir das Leben.«
Grundgütiger , dachte Wynter, all diese Zufälle . Welch willkürliche Umstände ihre beiden Freunde zusammengeführt hatten – sie konnte es kaum fassen. Wäre auch nur eine Winzigkeit anders verlaufen, ob Zeit oder Ort, dann wären sie einander niemals begegnet. Razi hätte Christopher niemals helfen können, und sie selbst hätte diesen Mann niemals gefunden, der ihr doch inzwischen so viel bedeutete. Vor lauter Angst, er könnte ihr entschwinden, hielt sie seine Hände noch fester.
»Ich hätte so nicht leben können, Wynter«, flüsterte er. »Ich hätte mich nicht leben lassen , nicht so.« Christopher hob eine Hand und machte eine Geste, als drückte er leicht auf einen Gegenstand, den nur er sehen konnte. »In der Truhe meines Vaters gibt es eine Geheimschublade. Darin sind all meine Messer versteckt. Ich hatte einen Plan, weißt du. Sobald Le Garou mich … behandelt und mich auf sein Anwesen gebracht hätte, wollte ich mit diesen Klingen zuerst meine Mädchen töten und dann mich selbst. Es wäre unsere einzige Möglichkeit gewesen, wieder frei zu werden. Es hätte …«
Christopher hob den Blick gen Horizont, die Hand immer noch in der Luft hängend, die Miene staunend. »Ich konnte es nicht fassen, als er kam und mich kaufte. Wie er Sadaqah dazu überredet hat, sich darauf einzulassen, weiß ich bis heute nicht. Razi muss ihm mit etwas Schlimmem gedroht oder ihn bestochen haben, denn der Händler ging ein hohes Risiko ein, indem er al-Sayyid gegen André Le Garou unterstützt hat. Sie täuschten einen Schreibfehler vor, ließen es aussehen, als wäre ich
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