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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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während ich Aryanas Finger sah, die sich in Zeitlupe um den Ast schlossen … Ohne nachzudenken, winkelte ich die Arme in Brusthöhe an und sprang auf ihre gebückte Gestalt zu. Mit aller Kraft stieß ich sie in den Rücken.
    Aryana hatte mit meinem plötzlichen Angriff nicht gerechnet. Durch den Stoß aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte sie nach vorn und fiel kopfüber ins Laub. Ich rannte los. Ein Wutschrei und ein heftiges Rascheln hinter mir zeigten, dass sie sich offenbar schnell wieder aufgerappelt hatte. Schon hörte ich die Sohlen ihrer Turnschuhe hinter mir auf den Waldboden trommeln. Sie nahm die Verfolgung auf. Ich lief, so schnell ich konnte. Doch der Waldboden mit seinen vielen, unter den welken Blättern des letzten Herbstes verborgenen Wurzeln war tückisch. Ich musste daran denken, was passieren würde, wenn ich hängen bliebe und hinfiele – so wie Mia, als sie vor Urs geflohen war. Mein Gehirn gaukelte mir schreckliche Bilder vor: Aryana, die mit dem dicken Ast auf mich einprügelte, während ich hilflos am Boden lag. Ich sah mich selbst bewusstlos, während sie mich unter den Achselhöhlen packte und mich zum Moorsee schleifte. Fast konnte ich das Moorwasser fühlen, das in meine Nase drang, während sie unbarmherzig meinen Kopf unter Wasser drückte … Die Panik drohte mir die Luft abzuschnüren. Ich konnte nicht einschätzen, wie nah Aryana inzwischen war, denn meine eigenen, lauten Atemzüge übertönten das Geräusch der Schritte meiner Jägerin. Mein Brustkorb brannte, ich hatte das Gefühl, durch die glühend heiße Luft der Hölle zu sprinten. In Wirklichkeit war es die Erschöpfung vom Rennen um mein Leben. Ich musste wissen, wie nahe Aryana schon war, sicher sein, dass ich ihr entkommen konnte. Daher drehte ich den Kopf. In derselben Sekunde prallte sie in vollem Lauf gegen mich. Ich strauchelte und hielt mich an ihr fest. In einem Gewirr aus Armen und Beinen gingen wir beide zu Boden. Ehe ich mich wieder aufrichten konnte, war sie schon über mir.
    »Du bist auch nicht besser als Mia«, zischte sie. Speicheltröpfchen von ihren Lippen flogen mir ins Gesicht, während ihr linkes Knie sich schmerzhaft in meine Rippen bohrte. »Nichts weiter als eine Schlampe, die sich holt, was sie will und dann abhaut. Aber niemand verlässt Zeno – oder die Oase!«
    Ich sah ihr wutverzerrtes Gesicht, dann fühlte ich ihre Hände, die nach meinem Hals griffen. Ich wand mich wie ein Aal unter ihrem Gewicht. Ineinander verknäuelt rangen wir auf dem Waldboden miteinander. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass wir dabei immer näher an einen Abhang rollten, wo der Waldweg relativ steil nach unten abfiel. Ich musste um jeden Preis verhindern, dass Aryana mich dort hinunterstieß. Im Moment lag ich jedoch wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken, während sie über mir kniete und ihr Gewicht schmerzhaft auf meine Rippen drückte. Ich schlug und kratze blind um mich, bis ich unter meinen Fingernägeln weiche Haut spürte. Aryana schrie auf. Es war der hohe, tierische Laut, eines verletzten Raubvogels. Ich riss die Augen auf und sah ein dünnes Rinnsal Blut, das über ihre Stirn floss. Im selben Moment sah ich ihre Faust auf mich zukommen. Im Reflex riss ich den Kopf nach hinten und ihr Hieb streifte nur mein Kinn. Aber selbst das reichte, um mich einen Moment lang außer Gefecht zu setzen. Behände sprang Aryana auf die Füße und holte mit dem rechten Bein aus, als wollte sie einen Fußball ins Tor kicken. Nur zielte sie dabei auf meinen Kopf. Blitzschnell rollte ich mich zur Seite. Keinen Moment zu früh. Ich spürte den Luftzug, als ihr Fuß nur wenige Zentimeter an meiner Schläfe vorbei ins Leere traf. Obwohl ich immer noch auf dem Boden lag, packte ich mit beiden Händen ihr linkes Bein, auf das sie ihr Gewicht verlagert hatte, als sie zu dem Kick ausgeholt hatte. Mit schier übermenschlicher Kraftanstrengung zog ich mit einem Ruck ihren Fuß unter ihr weg. Mit rudernden Armen stürzte sie rückwärts zu Boden. Ich rollte mich herum und kam schwankend auf die Füße. Verzweifelt blickte ich mich nach einer Waffe um, aber alles was ich entdecken konnte, war der dicke Ast, den Aryana offenbar in der Hand gehalten hatte, während sie mir nachgerannt war. Ich schnappte ihn mir. Die Wut ließ Aryana offenbar jeden Schmerz vergessen, denn schon hatte sie sich wieder aufgerappelt. Nun wollte ich sie auch nicht mehr schonen, ich wollte nur noch am Leben bleiben. Keuchend und mit schmutzverschmierten

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