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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Gesichtern starrten wir uns ein paar Sekunden lauernd an: zwei Tiere, die sich auf Leben und Tod bekämpften. Aryana machte einen Schritt auf mich zu. Mit einem Brüllen schwang ich den Ast in ihre Richtung und sprang vor. Sie wich instinktiv zurück – und war auf einmal aus meinem Blickfeld verschwunden. Nur ihr verzweifelter Schrei hing noch sekundenlang in der Luft. Ich starrte auf die Stelle, wo sie gerade noch gestanden hatte. Mein Verstand arbeitete so langsam, als wäre er in Aspik eingelegt. Dann aber löste sich die Erstarrung und ich rannte zum Rand des Abhangs, den sie heruntergestürzt war. Ein paar Meter unter mir sah ich sie liegen. Ihr linkes Bein war seltsam verdreht und der Unterschenkel stand in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab. Sie rührte sich nicht. War sie tot? Ein heißer, bitterer Brechreiz stieg in mir auf. Trotzdem zwang ich mich, vorsichtig den Abhang hinunterzuklettern, wobei ich mehr auf allen vieren rutschte. Vorsichtig und jederzeit darauf gefasst, dass Aryana mir nur eine Falle stellte, näherte ich mich ihrer reglosen Gestalt.
    Ihr Gesicht war durchscheinend und weiß. Sie hätte eine Wachspuppe sein können, wären nicht unter ihren Augen bläuliche Schatten gelegen und hätten ihre geschlossenen Lider nicht kaum merklich gezuckt. Langsam und in sicherem Abstand von ihr ging ich in die Hocke. Dann streckte ich die Hand aus und berührte sie mit den Fingerspitzen vorsichtig an der Schulter.
    »Aryana«, flüsterte ich und rüttelte sie sanft. Ein leises Stöhnen kam aus ihrem Mund, dann öffnete sie die Augen. Benommen blickte sie mich an.
    »Feline«, murmelte sie. »Wieso bist du hier?«
    Ehe ich noch den Mut zu einer Erwiderung fand, verzog sich ihr Gesicht schmerzlich.
    »Mein Bein! Es tut so weh«, jammerte sie und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Noch vor wenigen Minuten hätte sie meinen Tod in Kauf genommen, jetzt aber war sie nur noch ein hilfloses Mädchen, das Schmerzen hatte. Da musste auch ich weinen. Auf einmal tat sie mir einfach nur leid. Offenbar war ich auch kurz davor, verrückt zu werden.
    »Ich hole Hilfe«, versprach ich und wollte aufstehen. Da schoss ihre Hand vor und umklammerte meinen Arm.
    »Nein, bitte! Lass mich nicht alleine«, wimmerte Aryana. In ihren Augen lag die Angst eines Schlachttieres, das gerade durch das Tor der Abdeckerei geführt wird.
    Ich schluckte hart und befreite meinen Arm behutsam aus ihrem Griff. »Ich hole Zeno. Und dann bringen wir dich in die Oase, wo du ganz schnell wieder gesund wirst, okay?«, log ich mit zitternder Stimme. Bei Zenos Namen verzogen sich ihre blutleeren Lippen zu einem Lächeln.
    »Ja«, flüsterte sie, »in die Oase. Wir sind doch eine Gemeinschaft …« Ihre Augen schlossen sich langsam. Nur schwach hob und senkte sich ihre Brust. Ich verbiss mir die Tränen, während ich mein Kapuzenshirt auszog. Sachte schob ich es Aryana unter den Kopf, damit sie bequemer lag. Dann kletterte ich den Hang hinauf und lief los. Aber nicht zur Oase, sondern in die Richtung, in der hoffentlich bald die Straße begann.

Kapitel 16
    Die beiden Beamten hatten sich meinen Bericht schweigend angehört. Mit total verdreckter Hose, die Haare zerzaust und völlig erschöpft war ich durch die Tür des örtlichen Polizeireviers getaumelt. Den Großteil der Strecke nach Burg hatte ich tatsächlich zu Fuß zurückgelegt. Die ersten Kilometer war ich sogar gejoggt, von der panischen Angst getrieben, Urs hätte inzwischen mein Fehlen oder das von Aryana bemerkt und Alarm geschlagen. Oder Nick endgültig verschwinden lassen. Ich hielt mich die ganze Zeit am Rand der Straße. Stets auf das kleinste Geräusch bedacht und bereit, jederzeit wieder querfeldein ins schützende Dunkel der Alleebäume zu tauchen, sollte ich das Gefühl haben, verfolgt zu werden. Daher hatte ich auch zwei Autos vorbeifahren lassen, ohne mich bemerkbar zu machen. Zu groß war meine Furcht gewesen, es könnte jemand aus der Kommune hinterm Steuer sitzen und nur darauf lauern, dass ich rufend am Straßenrand stand.
    Erst nach eineinhalb Stunden, als meine Beine mich beinahe nicht mehr trugen und die Sorge um Nick, der vielleicht ebenso schwer verletzt wie Aryana irgendwo lag, immer größer geworden war, traute ich mich, am Seitenstreifen stehen zu bleiben und in die näher kommenden Scheinwerfer eines Autos zu winken. Hansi Hinterseer oder einer dieser Musikantenstadl-Clowns, über die ich mit meiner Mutter immer gewitzelt hatte, schallte aus dem

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