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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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geöffneten Autofenster. Ich war mir ziemlich sicher, dass selbst die Oasianer sich diese Musik nicht antaten, nur um mich hinters Licht zu führen. Mit quietschenden Bremsen war der Wagen neben mir zum Stehen gekommen. Die Scheibe auf der Beifahrerseite ging herunter und ich sah in zwei erschrockene Augenpaare, die mich anstarrten. Sie gehörten einem älteren Mann, der am Steuer saß und einer Dame mit lilaweißer Dauerwelle, wahrscheinlich seine Ehefrau.
    »Meine Güte, Kind! Was ist denn mit dir passiert? Bist du überfallen worden?«, fragte sie mich. Ich schüttelte erst den Kopf, dann nickte ich, ehe ich die Schultern zuckte.
    »Hören Sie, die Sache ist kompliziert. Ich muss zur Polizei. Könnten Sie mich mitnehmen?«, fragte ich.
    Beide wechselten einen kurzen Blick, dann nickte der Mann und machte eine auffordernde Kopfbewegung zur hinteren Autotür. Erleichtert ließ ich mich auf den Rücksitz fallen. Aber erst als er Gas gab und der Tacho achtzig Stundenkilometer zeigte, hörte ich auf, ständig den Kopf zu drehen und durch die Heckscheibe nach möglichen Verfolgern Ausschau zu halten. Das ältere Ehepaar versuchte zwar, etwas aus mir herauszubekommen, aber ich sagte nur knapp, dass mich jemand verfolgt habe, ich gestürzt sei und jetzt zur Polizei wolle. Der Mann fuhr mich bis vor den Eingang des Reviers. Sein Angebot, mich hineinzubegleiten, lehnte ich ab. Nachdem ich mich aufrichtig bei den beiden bedankt hatte, stieß ich die etwas verwitterte Holztür auf. Ich blinzelte ins grelle Neonlicht der Polizeistation und war noch nie in meinem Leben so froh gewesen, jemanden in Uniform vor mir zu sehen.
    »Ich kenne diese Oase bisher nur vom Hörensagen. Eine Ärztin leitet dort eine Art betreutes Wohnen für junge Erwachsene in schwierigen Lebenssituationen. Bisher haben sich diese Leute nie etwas zuschulden kommen lassen,«, erklärte der Dienststellenleiter, ein drahtiger Typ mit stoppelkurzem grauem Haar und einem kleinen Ohrring, von dem ich inzwischen wusste, dass er Wiesmüller hieß. Seinen waschechten Ostberliner Jargon hatte er auch in der Einöde des Spreewalds nicht abgelegt. Der klang auch jetzt deutlich durch, als er mich skeptisch fragte: »Du willst uns allen Ernstes erzählen, dass dahinter eine Sekte steckt?«
    Nachdem ich den Beamten jedoch eine Kurzfassung der Ereignisse von Mias Tod geliefert hatte, alarmierte er außer ein paar Kollegen auch noch den Rettungswagen. Als die Verstärkung eintraf, rappelte ich mich mühsam von meinem Stuhl hoch, auf dem ich beinahe vor Erschöpfung eingeschlafen war. »Ich komme mit.«
    »Kommt nicht infrage, Fräulein. Du bleibst schön hier, und wir rufen deinen Vater an, damit er dich abholt«, erklärte Wiesmüller, während er in seine schwarze Lederjacke schlüpfte. Natürlich hatten ein paar Klicks in seiner Computerdatei genügt, um zu sehen, dass ich die minderjährige Ausreißerin war, die seit Tagen in Berlin gesucht wurde. Doch ich ließ mich nicht beirren.
    »Sie haben keine Ahnung, was in der Kommune abgeht! Die werden das Blaue vom Himmel herunterlügen, wenn Sie mit Ihren Leuten da aufkreuzen. Und Mias Leiche haben sie auch verschwinden lassen«, argumentierte ich. »Außerdem kenne ich die Stelle im Wald, wo Aryana liegt. Und ich muss wissen, was mit Nick passiert ist«, beharrte ich.
    Wiesmüller musterte mein schmutzverschmiertes Gesicht und schüttelte seufzend den Kopf. »Na gut. Aber zupf dir vorher die Blätter aus dem Haar, wir sind hier nicht im Musical Tarzan«, knurrte er, um zu überspielen, dass ich meinen Dickkopf durchgesetzt hatte.
    Zwei Sanitäter hatten Aryana auf einer Rettungsbahre weggebracht. Als wir sie fanden, lebte sie, war aber vor Schmerz oder Erschöpfung ohnmächtig. Ich war froh, dass sie nicht mitbekam, dass der Rettungswagen sie in ein Krankenhaus und nicht in die Oase brachte. Ein Teil von mir hatte immer noch Mitleid mit ihr, obwohl ich beinahe das zweite Opfer ihrer fanatischen Zuneigung zu Zeno und der Kommune geworden wäre. Sie hatte Mia getötet und Nick mit einem Stein niedergeschlagen. Weiß der Himmel, wo er jetzt lag und ob er noch lebte. Aber auch Urs, der ihr geholfen hatte, und Zeno, der Mitwisser, sollten nicht ungeschoren davonkommen. Obwohl ich unbedingt hatte mitkommen wollen, zitterte ich am ganzen Körper, als das Polizeifahrzeug langsam durch das Gatter rollte, wo das Gelände der Oase begann. Der Beamte am Steuer schaltete Blaulicht und Sirene ein und die Kollegen in den beiden anderen

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