Moorseelen
sagte er. Um auf den fragenden Blick von Wiesmüller hin zu erklären: »Dieses Mädchen kam vor ein paar Tagen zu uns. Sie war erschöpft und ziemlich verwirrt. Wir haben sie aufgenommen, aber offensichtlich ist sie krank. Sogar hier in der Kommune hat sie sich ständig verfolgt gefühlt.« Ich war so perplex über Zenos Unverfrorenheit, dass es mir förmlich die Sprache verschlug. Da fuhr er schon fort: »Dann ist sie«, dabei zeigte er nachlässig auf mich, »verschwunden und wir dachten, sie wäre zurück nach Hause. Aber auf einmal kam sie wieder und wollte uns weismachen, sie hätte eine Leiche im Moorsee gesehen. Wir haben natürlich sofort alles abgesucht, aber da war nichts.«
Ich holte gerade Luft, um ihm eine saftige Erwiderung um die Ohren zu hauen, da schaltete sich Deva ein: »Sie hat vor Kurzem ihre Mutter bei einem Unfall verloren. Sie leidet offenbar unter einer posttraumatischen Störung«, dozierte sie und blickte Wiesmüller ruhig und bestimmt an. »Ich bin Ärztin, ich weiß, wovon ich rede. Sie können gerne meine Approbation sehen.«
Eine Stunde später stand Wiesmüller vor dem Polizeiauto, in dem ich ungeduldig gewartet hatte, und zuckte die Schultern. »Nichts«, sagte er. »Keine Spur – weder von einer Leiche im See noch von deinem angeblichen Mitschüler. Wir haben in den Gebäuden nachgesehen. Die Leute hier behaupten, bei ihnen seien weder eine Mia, noch dieser Nick jemals aufgetaucht.«
»Aber … das stimmt nicht! Ich bin doch Ihre Zeugin!«, rief ich aufgebracht.
Der Polizeibeamte zuckte die Schultern und sah skeptisch drein.
Jetzt wurde ich sauer: »Sie haben ja nicht mal richtig nachgesehen!«, warf ich ihm vor.
Er legte die Stirn in ärgerliche Falten. »Mein liebes Fräulein, dazu bräuchten wir erst mal einen offiziellen Durchsuchungsbefehl! Aber dafür gibt es keinen Anlass. Nichts deutet auf ein Verbrechen hin. Trotzdem war Frau …«, er stockte und schien nicht recht zu wissen, wie er Deva anreden sollte, »also sie war so freundlich, uns einen Blick in ihr Haus und die Schlafräume der Bewohner werfen zu lassen. Wir konnten dort nichts feststellen, was irgendwie illegal gewirkt hätte.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das hier ist eine Sekte«, beschwor ich den Polizisten. »Die nutzen die Leute mit Schlafentzug und harter Arbeit aus!« Und ich bin voll drauf reingefallen, fügte ich in Gedanken hinzu und krümmte mich innerlich.
Wiesmüller zuckte die Achseln. »Alle Bewohner dieser sogenannten ›Oase‹ sind freiwillig hier und können daher tun und lassen, was sie wollen. Sie sind nämlich volljährig. Im Gegensatz zu dir«, sagte er und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Prompt fühlte ich mich wie ein armer Sünder bei der Beichte Und als ob das nicht genug wäre, fuhr der Polizist fort: »Du hast offensichtlich deinen Ausweis gefälscht, um dich hier einzuschleichen! Vielleicht erklärst du mir mal, wieso du erst unbedingt hierbleiben wolltest und jetzt auf einmal mit ziemlich heftigen Anschuldigungen daherkommst?«
Ich glaubte nicht richtig zu hören. Ich wollte ein Verbrechen aufklären – und war jetzt auf einmal die Angeklagte? »Weil ich die Wahrheit sage«, sagte ich und starrte ihm ohne zu blinzeln ins Gesicht. Er musste mir glauben, sonst würde Nick nie gefunden. Und Mias toter Körper auch nicht. In dem Moment kam einer von Wiesmüllers Leuten und steckte sein Funkgerät zurück in dessen Halterung, die er umgeschnallt trug. Er redete ein paar leise Worte mit seinem Chef, dann wandte sich Wiesmüller an mich. Seine Miene war noch ernster geworden.
»Das verletzte Mädchen ist inzwischen im Krankenhaus aufgewacht.« Ich wollte schon erleichtert aufatmen, da fuhr der Beamte fort: »Sie behauptet, du hast sie im Wald angegriffen. Grundlos.«
Mir klappte der Mund auf. Ich befand mich mitten in einem Albtraum, nur dass ich nicht einfach aufwachen würde und alles wieder gut wäre. Im Gegenteil. Jetzt stand ich am Pranger und Wiesmüller war anzusehen, dass er inzwischen an meiner Version der Geschichte zweifelte. Zeno und Deva hatten auch ihn eingewickelt.
»Das stimmt nicht! Aryana hat mich attackiert. Sie hätte mich getötet, wenn ich mich nicht gewehrt hätte!«
Der Polizist seufzte nur und drückte damit deutlich aus, was er von mir und meinen Anschuldigungen hielt. Für ihn war ich eine Minderjährige, die wilde Geschichten zusammenfantasierte. Vielleicht dachte er sogar, die Oase hätte mich rauswerfen wollen und ich würde mich
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