Moorseelen
Haus.
Drei erschrockene Augenpaare waren auf mich gerichtet, aber ich glaubte ihrem Unschuldslamm-Getue nicht.
»Ich hatte es dabei, als ich hier ankam. Jetzt ist es verschwunden. Es wird sich ja wohl kaum in Luft aufgelöst haben, oder?«, fuhr ich das Trio an. Meine Stimme klang atemlos und viel zu hoch, aber ich hätte sie alle am liebsten gepackt und geschüttelt – Mia allen voran – so wütend war ich.
»Gibt’s ein Problem?«, ertönte es hinter mir. Zeno.
Ich fuhr herum. »Da kannst du drauf wetten«, fauchte ich. Ich war derart auf 180, dass mein Zorn nicht mal vor Zeno haltmachte. »Mein Handy ist weg. Und ich will verdammt noch mal wissen, wer es aus meinem Rucksack genommen hat!«
Zeno blickte auf mich herab und ein leises Lächeln umspielte seinen Mund, als beobachtete er ein zahmes Äffchen, das gerade ein besonders possierliches Kunststück aufgeführt hat. »Ich«, sagte er schlicht.
Mir fiel buchstäblich die Kinnlade herunter. »Du?«, war alles, was ich herausbrachte. Gleich darauf dachte ich: niemals. Sicher wollte er jemanden decken. Mia? Ihr traute ich den Diebstahl zu. Sie war seit gestern schon so schnippisch mir gegenüber gewesen. Wahrscheinlich wollte sie mir eins auswischen. Mein Groll gegen sie wurde erneut angefacht, weil Zeno sich schützend vor sie stellte.
Während ich noch nach einem zündenden Konter suchte, spürte ich Zenos Arm um meine Schulter. »Ich glaube, wir müssen reden«, sagte er und führte mich mit sachtem, aber unmissverständlichem Griff ein Stück weg von den anderen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Mia, Kali und Irina mir nachblickten, ehe sie tuschelnd die Köpfe zusammensteckten. Sollten sie doch, dachte ich trotzig und funkelte Zeno an, als er stehen blieb und mir prüfend ins Gesicht sah. »Feline, Feline, Feline«, seufzte er schließlich, »du hast es immer noch nicht kapiert, oder?«
Total aus dem Konzept starrte ich ihn an. Wieder machte sich ein Gefühl in mir breit, versagt zu haben. Nur wobei? Wieso war ich immer die Dumme, wenn Zeno mich so anschaute? Trotzdem hatte ich keine Lust, mir meine Unsicherheit anmerken zu lassen. »Was habe ich nicht kapiert? Dass sich hier jeder aus den Sachen vom anderen bedienen kann, oder was? Ich dachte, ihr verachtet Handys und solchen Kram«, motzte ich, merkte aber, dass meiner Stimme die Festigkeit fehlte.
Zeno grinste amüsiert. »Eben. Niemand von uns besitzt mehr ein Handy, geschweige denn ein Laptop. Ich hab dir ja schon erklärt, wieso. Also habe ich mir erlaubt, dein Handy für dich aufzubewahren.«
Ich schnaubte. »Aufbewahren« war eine nette Umschreibung von »in den privaten Sachen wühlen«. Zeno ahnte wohl, was in mir vorging, denn seine Stimme wurde sanfter. »Keiner will dir etwas wegnehmen, Feline. Aber hier sind wir alle gleich. Dazu gehört, dass jeder sich in die Gemeinschaft einfügt und keiner bevorzugt wird. Alle teilen miteinander, was sie erarbeiten. Aber es bedeutet auch Verzicht für diejenigen, die mehr haben, als die anderen.«
Ich runzelte die Stirn. Einerseits klang es einleuchtend, was Zeno sagte. Andererseits hatte ich ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken, nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren zu können. Als ich aufblickte, sah ich Zeno schmunzeln.
»Komisches Gefühl, so ganz ohne Handy, was?«, zwinkerte er. Auf fast unheimliche Weise schien er zu wissen, was ich dachte. »Versuch es doch mal positiv zu sehen, Feline«, fuhr er lächelnd fort. »Du bist jetzt frei. Und zwar von dem Druck, checken zu müssen, ob du noch beliebt bist und wer dir ’ne SMS schickt. Aber auch frei von dem Zwang, immer und überall erreichbar zu sein. Du bist jetzt angekommen. Bei uns. Und wir akzeptieren jeden so, wie er ist. Wir mögen dich, weil du
du
bist und nicht, weil du soundso viele Facebook-Kontakte hast.«
Unwillkürlich wurde mir bei seinen Worten warm ums Herz. Aber nur kurz, dann senkte ich den Kopf und murmelte beschämt: »Ich glaub nicht, dass ich hier noch willkommen bin – so wie ich mich gerade aufgeführt habe …« Tatsächlich schämte ich mich für meine Impulsivität. Ich war fest überzeugt, mich vor Zeno total blamiert zu haben. Doch der schüttelte den Kopf.
»Mach dir keine Gedanken. Du bist nicht die Einzige, die am Anfang mal ausgerastet ist«, lachte er.
Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete mich. Trotzdem nagte ein leises Unbehagen an mir, verstohlen wie die Maus am Käse: »Das heißt, ich hab überhaupt keinen Zugriff mehr auf mein
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