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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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vorgesetzt bekamen, wo doch der Garten alles an Kräutern und Gemüse hergab, um etwas wirklich Leckeres daraus herzustellen. Aber anscheinend waren die frischen Zutaten nur für den Verkauf vorgesehen oder für die Festabende.
    Erst jetzt fiel mir auf, dass einer fehlte: Lukas. »Ist er krank?«, erkundigte ich mich bei Kali, die sich mit ihrer Essensportion neben mich auf den Stuhl fallen ließ.
    »Er fastet«, lautete die kurze Antwort. Ich starrte Kali mit offenem Mund an. Wie konnte jemand auf Essen verzichten, bei dem Wenigen, das es hier sowieso schon gab?
    »Freiwillig?«, hakte ich nach.
    Kali sah mich abschätzend an. »Klar, was glaubst du denn? Hier wird keiner zu irgendwas gezwungen«, sagte sie patzig.
    »Na ja, manches ›muss‹ man freiwillig, stimmt’s?«, versuchte ich zu scherzen, aber der Blick, den sie mir zuwarf, ließ mich verstummen. Zwar hätte mich noch interessiert, wieso Lukas nichts aß, aber Kalis abweisende Reaktion war deutlich gewesen. Genau wie Mia vorhin, dachte ich. Fragen kamen hier offenbar nicht so gut an.
    Den Kopf voller Gedanken, aber hundemüde fiel ich nach meinem ersten Oasen-Tag ins Bett, sobald die Bewohner sich in die Schlafsäle begaben. Nach dem Essen hatten wir alle zusammen bis in die Nacht hinein noch die Küche und den Gemeinschaftsraum geputzt. Und obwohl mir nicht klar war, wieso das ausgerechnet so spät noch sein musste, hatte ich mich widerstandslos gefügt. Schließlich machten alle mit, ohne zu murren, und ich wollte nicht schon wieder auffallen. Trotz meiner körperlichen Erschöpfung wachte ich in der Nacht mehrmals von den fremden Atemgeräuschen der Mädchen und Irinas unruhigem Herumwerfen auf. Aber es war noch etwas anderes: Zum ersten Mal seit ich im Streit von zu Hause abgehauen war, dachte ich an meinen Vater. Ob er sich wohl Sorgen um mich machte? Dann aber fiel mir ein, dass er bald ein neues Kind haben würde, und trotzig vergrub ich mich unter meiner Decke. Meine Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüsste, wie schnell er sich eine neue heile Welt geschaffen hat, dachte ich. Wie sie über mein Verhalten denken würde, verdrängte ich.
    Wieder wurde ich nach kaum fünf Stunden Schlaf in aller Frühe aus dem Bett geholt und als ich rammdösig in den Gemeinschaftsraum schlurfte, wartete der dampfende Topf Porridge schon. Wenn das jetzt jeden Tag so geht, lege ich auch freiwillig ’ne Diät ein, dachte ich, und tunkte widerstrebend meinen Löffel in die Schüssel braunen Haferschleims. Just in diesem Augenblick spürte ich zwei warme Hände auf meinen Schultern. Zeno war unbemerkt hinter mich getreten und lächelte jetzt von seinen eins fünfundachtzig souverän auf mich herunter. »Na, alles klar bei dir?«, wollte er wissen.
    Ich überlegte tatsächlich, ob ich ihm klipp und klar sagen sollte, dass ich mir meinen Aufenthalt hier etwas anders vorgestellt hatte. Mehr das ungezwungene WG -Leben einer Surferclique statt Bootcamp. Langsam kam ich mir vor wie in einer dieser Realitydokus vom Kabelfernsehen, in der aufsässige Kids ins Nirgendwo geschickt werden, um durch harte Arbeit wieder Manieren zu lernen. Gerade noch rechtzeitig hielt ich mir aber vor Augen, dass schließlich
ich
diejenige gewesen war, die an der Tür der Oase gekratzt hatte. Und zu meinem Vater und zu Schwanger-Melanie wollte ich natürlich erst recht nicht zurück. Also gab ich nur ein undefinierbares »Mmmh« von mir. Vielleicht würde Zeno ja von sich aus merken, dass es mir alles andere als gold ging, und mich darauf ansprechen.
    Doch er tätschelte nur leicht meinen Rücken und meinte fröhlich: »Super. Heute Abend gibt’s übrigens ’nen Diavortrag.«
    Ehe ich noch fragen konnte, worum es ging, war Zeno weitergegangen. Er beugte sich zu Kali und redete kurz und leise mit ihr. Zu gerne hätte ich gewusst, worüber, doch Zeno verließ mit schnellen Schritten den Raum. Erst jetzt fiel mir auf, dass er nie mit uns zusammen aß. Vielleicht kochte ja seine Mutter für ihn. Bestimmt schmackhafter als der Einheitsbrei, den wir vorgesetzt bekamen.
    Als ich nach draußen ging, stand Lukas mit Zeno vor einem der lang gestreckten Gebäude. Zeno flüsterte mit ihm. Lukas starrte auf den Boden und nickte ein paarmal, es wirkte demütig. Zeno legte ihm kurz und mit schmalen Augen die Hand auf die Schulter, ehe er davonging. Lukas stand wie angenagelt auf der Stelle, scharrte mit dem Fuß im Staub und glich dabei einem gescholtenen Erstklässler. Er sah blass aus und hatte

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