Moorseelen
Handy?«, versicherte ich mich.
Zeno zog die Augenbrauen hoch. »Wieso, musst du etwa jemanden anrufen?«, nahm er mich in die Zange.
Hastig schüttelte ich den Kopf. »Nee, ich frage nur«, wiegelte ich ab und beschloss, das Thema fallen zu lassen. Plötzlich hatte ich Schiss, dass Zeno meinen Bluff mit der Volljährigkeit rauskriegen und mich aus der Oase werfen könnte. Obwohl mir hier vieles querkam, wollte ich aus irgendeinem Grund doch hierbleiben. Den Gedanken, dass dieser Grund Zeno hieß, verscheuchte ich hastig. »Ich hab mich aufgeführt wie ein wildgewordener Schimpanse, sorry«, sagte ich leise und beschämt.
Zeno legte mir kurz und liebevoll die Hände auf meine Wangen und ich kam in den Genuss seines zahnlückigen 1000-Watt-Lächelns. »Gut, dann kann die Diashow ja losgehen«, sagte er.
»Moment noch«, bat ich und trat entschlossen auf Mia, Kali und Irina zu. Die drei unterbrachen ihr Gespräch und sahen zu mir hoch, ihre Blicke waren distanziert. »Hört mal, ich hab mich gerade wirklich ekelhaft aufgeführt. Tut mir leid, ehrlich«, gab ich zu. Irina lächelte schon wieder und ich hatte auf einmal das Bedürfnis, ihnen etwas zu geben, daher fuhr ich fort. »Ihr wart die ganze Zeit total nett zu mir und ich hab nur herumgezickt. Vielleicht könnt ihr das unter der Kategorie ›Anlaufschwierigkeiten‹ verbuchen. Kommt auch nicht mehr vor, okay?«
Nun grinste auch Kali und selbst Mia rang sich ein Lächeln ab.
Ich holte tief Luft. Mir zitterten etwas die Knie nach meiner Ansprache, aber ich fühlte mich besser.
»Das war wirklich großartig, Feline, ich bin stolz auf dich«, raunte Zeno in mein Ohr und ich spürte eine kurze, aber zärtliche Berührung, als er mir mit dem Zeigefinger über die Wange und den Hals hinunter strich. Ein wohliger Schauer durchlief mich und auf einmal hatte ich das Gefühl, etwas Altes abgeworfen zu haben, wie eine Schlange ihre Haut. Ich wollte eine neue Feline werden, frei von negativen Gefühlen und Ärger.
Als ich mich im Schneidersitz auf dem Boden niederließ, kitzelte mich jemand hinterm Ohr. »Hi Küchenfee, wie geht’s?«
Ich drehte mich um. Lukas grinste mich an. Von dem erschöpften, niedergeschlagenen Jungen war keine Spur mehr zu sehen. »Hast du das Fasten gecancelt?«, fragte ich.
»Never ever«
, versicherte er. »Fasten ist geil. Okay, der erste Tag ist hart, aber dann kriegst du plötzlich total den Energieflash und fühlst dich fast high. Wusstest du, dass der Körper dreißig Prozent mehr Power hat, die er sonst für die Verdauung der Nahrung braucht?«
Ich schüttelte den Kopf. Nichts zu essen, hatte mich bisher nie gereizt. Wenn ich mir Lukas aber so ansah, wurde ich fast neidisch. Während ich müde und abgeschlafft auf dem Boden hockte und wahrscheinlich eher an einen nassen Kartoffelsack erinnerte, schien er zu vibrieren vor guter Laune und Tatendrang. »Klingt … interessant«, brachte ich heraus und Lukas prustete.
»Klingt scheiße, willst du damit sagen«, überführte er mich. »Aber ich kann dir nur stecken: Probier’s aus, es funktioniert!«
Ehe ich noch was erwidern konnte, fing der Diavortrag an. Zeno trat vor und räusperte sich. »Tja, Leute, ich will’s kurz machen. Diese Bilder sollen euch dran erinnern, warum ihr ausgerechnet hierhergekommen seid und euch entschlossen habt, zusammen in unserer Gemeinschaft zu leben.« Aha, wahrscheinlich Erinnerungsbilder von irgendwelchen Kommunenfeiern. Vielleicht gab es ja Fotos, auf denen Zeno in Partylaune übers Lagerfeuer sprang, dachte ich und musste ein Kichern unterdrücken. Doch schon beim ersten Bild verging mir die gute Laune schlagartig. Es wurden keine lustigen Erinnerungsfotos gezeigt. Stattdessen sah ich tote Kälber, die neben einem Transporter lagen. Die Augen waren verdreht, die Mäuler, vor denen oft blutiger Schaum stand, halb offen. Bei manchen hing die Zunge kraftlos heraus. Auf dem nächsten Bild: Legehennen mit nackten Hälsen, so wundgescheuert, dass dort keine Federn mehr wuchsen, zusammengepfercht in engen Käfigen. Kaninchen, die zu viert in einem winzigen Käfig gequetscht dahinvegetierten, eine Nahaufnahme ihrer vom Drahtgitter aufgeschnittenen Pfoten … Beim nächsten Dia kniff ich krampfhaft die Augen zusammen. Ich wollte das nicht sehen. »Schaut nicht weg, seht hin«, hörte ich Zenos Stimme. Sie war wie ein Zwang und ich konnte nicht anders, als seiner Aufforderung zu folgen.
Die Bilder von geschundenen Tieren wurden abgelöst von Bergen von
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