Moorseelen
starrte ich den Besucher an: »Nick?«
Kapitel 10
Völlig relaxt, als wäre er eben mal auf einem Spaziergang hier vorbeigekommen, schlenderte mein Mitschüler auf mich zu. Viel mehr als sein siegessicheres Grinsen ärgerte mich jedoch, dass Zeno abrupt seine Hand aus meiner zog. Plötzlich fühlte ich in meinen Fingern eine Leere, als hätte ich ein kostbares Schmuckstück fallen lassen und für immer verloren. Die Blicke der anderen aus der Oase wanderten verblüfft zwischen Nick und mir hin und her, aber keiner sagte ein Wort.
»Wo kommst
du
denn her?«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Am liebsten hätte ich ihm eins der Holzscheite, die um die Feuerstelle gestapelt waren, an den Kopf geworfen. Er kam mir so gerufen wie eine eitrige Mandelentzündung.
»Von da«, erwiderte Nick gespielt unbedarft und deutete in Richtung des Gatters, welches das Gelände zu der Kommune begrenzte.
Zeno musterte ihn stirnrunzelnd. »Dich kenne ich doch aus dem Park«, stellte er fest.
Nick quittierte Zenos Erinnerungsvermögen mit einem breiten Grinsen. »Exakt genau«, antwortete er und deutete in einer übertriebenen Geste auf Zeno. Er imitierte den Moderator einer billigen Nachmittags- TV -Show und ich schloss die Augen, damit ich diese Peinlichkeit in Jeans und Chucks nicht mehr sehen musste.
Wie zum Teufel war Nick auf die Oase gestoßen und was wollte er? Konnte eine Begegnung zwei Mal kurz hintereinander noch ein Zufall sein? Und – nun fuhr mir der eisige Schreck in die Glieder: Wer wusste noch davon, dass ich hier war? Würde als Nächstes mein Vater wutentbrannt auftauchen oder – daran wollte ich lieber gar nicht denken – gar die Polizei? Vor Panik wurde mir sekundenlang schwarz vor Augen und alles drehte sich um mich, als säße ich in einem rasend rotierenden Kettenkarussell. Jeden Moment rechnete ich mit zwei Schäferhunden, die bellend das Gelände stürmen würden, gefolgt von einer Handvoll Uniformierter … Aber alles blieb still. Für ein paar Sekunden war nur das Knistern und Knacken der Scheite im Lagerfeuer zu hören, die von den gierigen Flammen zu bizarren Skulpturen geformt wurden, ehe sie zerfielen und zu rötlich heller Glut schrumpften.
»Und? Was führt dich zu uns?«, fragte Zeno und ich bewunderte seine Coolness. Weder war seinem Gesicht anzusehen, was er von Nicks plötzlichem Erscheinen hielt, noch hörte ich seiner Stimme die geringste Unsicherheit an. Im Gegenteil. Zeno klang eher amüsiert. Offenbar spürte das auch Nick, denn sein selbstsicheres Feixen entgleiste etwas. Sein Gesichtsausdruck erinnerte an ein Porträt, bei dem der Maler versehentlich mit dem Pinsel ausgerutscht war.
»Ich … äh … ich hab euch heute Mittag an der Spree gesehen«, setzte Nick an. »Und eine Frau, die bei Feline Schmuck gekauft hat, wusste, dass ihr im Spreewald ’ne coole Kommune oder so was aufzieht.« Verdammt, dachte ich, hätte ich nur niemandem was erzählt. Anscheinend sah man mir meinen Ärger auf drei Meter an, denn Nick grinste leicht schadenfroh, ehe er seinen Bericht beendete: »Ich hab mich auf meine Vespa geschwungen und im Ort rumgefragt, bis mir jemand den ungefähren Weg erklärt hat.« Nick verschränkte die Arme siegessicher vor der Brust. Zeno verzog keine Miene. Ihm war nicht anzumerken, ob er überrascht oder genervt war.
»Hol dir was zu essen, ist genug da«, forderte er Nick freundlich auf. Dann ging er zu Deva, die den schlafenden Jaron im Arm hielt, und wechselte ein paar leise Worte mit ihr. Sie nickte und Zeno packte den Rollstuhl, wendete ihn mit einer geschickten Drehung und schob seine Mutter davon. Nach wenigen Schritten waren beide von der Dunkelheit verschluckt worden. Mir hatte Zeno keinen einzigen Blick mehr gegönnt und damit war klar, dass sein Angebot, später mit mir alleine zu reden, nicht mehr galt. Weil Nick alles versaut hatte.
Wütend starrte ich auf meinen Mitschüler, der vor Selbstgefälligkeit fast platzte. Er setzte sich entspannt mit seinem Teller voller Fladenbrot, Aufstrich und einem Häufchen Salat vors Feuer und kaute vergnügt. Aber nicht mehr lange, dachte ich grimmig und ließ mich neben ihn plumpsen.
»Sag mal, bist du bescheuert? Wieso machst du das?«, zischte ich ihn wutentbrannt an.
»Wieso mache ich
was
?«, spielte er das Unschuldslamm, aber nicht mit mir.
»Hör auf, mich für blöd zu verkaufen, klar? Du hast mir hinterherspioniert und es irgendwie geschafft, hierherzukommen. Und ich will verdammt noch
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