Mops und Möhren
gerade mit Tränen und Würgereiz gleichzeitig kämpfe. Der Boden unter meinen Füßen schwankt.
»Tanja, jetzt mach doch wieder auf!«
Ich taumele zur Couch und schaffe es, mich hinzusetzen, ehe ich der Länge nach auf den Fliesen aufschlage.
»Tanja!« Arne wummert gegen die Tür.
»Du kannst mich mal!«, brülle ich. »Kreuzweise!« Meine Stimme überschlägt sich. Arne drückt die Klingel, wummert gegen die Tür.
»Hau ab!«, brülle ich.
»Wir reden morgen!«, brüllt Arne zurück. »Das verstehst du falsch!«
»Du mich auch«, schreie ich zurück. Dann beiße ich ins nächstbeste Kissen. Es ist das von Mudel, und jetzt würgt es mich erst recht, denn ich habe den Mund voller Hundehaare. Vom Flur her höre ich Stimmen, aber ich kann kein Wort verstehen. Dann klappt die Wohnungstür gegenüber und es herrscht Ruhe.
In meinem Hirn geht es dafür umso bunter zu. In den schillerndsten Farben präsentiert mir mein Kopfkino, was in der Wohnung gegenüber geschieht. Ein tiefer Blick in die Kulleraugen – Arne schmilzt dahin. Ein leises Seufzen, das Beben der Atomtitten – Arne werden die Knie weich. Dafür wird etwas anderes sehr, sehr hart. Ich verwette Earl und Mudel darauf, dass der Herr Tierarzt in diesem Moment zum Tier wird und über das Püppchen herfällt. Wer weiß, was die beiden die ganzen Tage auf ihrer Insel getrieben haben. Ich könnte heulen. Und tue es auch. Hemmungslos. Ist ja keiner da, der mich sieht. Es dauert keine zwei Minuten, dann hab ich die erste Packung Tempo durchgerotzt. Earl wuchtet seinen Mopsbauch zu mir auf das Sofa und stupst mich mit der Plattnase an. Der Hund schaut mich aus traurigen Kulleraugen an und wedelt mit dem Ringelschwanz. Er meint es nur gut, nehme ich an, bewirkt aber das genaue Gegenteil. Da sitze ich nun, allein, verlassen, und nur ein Hund tröstet mich. Na ja, zwei Hunde, Mudel macht es sich vor der Couch bequem und starrt mich mit schief gelegtem Kopf an. Der Begriff Heulboje bekommt in diesem Moment eine ganz neue Dimension. Ich wusste selbst nicht, dass ich so laut plärren kann. Das hat nicht einmal Marc, der Arsch, geschafft. Meinen Ex habe ich zwar auch betrauert, aber damals fühlte sich mein Herz nicht an wie eine ausgelutschte Coladose, die jemand in den Rinnstein getreten hat.
Mudel wird mein Trauerspiel schnell zu viel. Der Kleine zieht sich auf das Hundekissen zurück, dreht sich acht Mal um die eigene Achse, bis er die optimale Schlafposition gefunden hat. Dann pennt er ein. Nur Earl, der gute Mops, hält mir die Stange.
»Und wer hält Arnes Stange?«, frage ich Earl. Der bellt leise und presst sich gegen meinen Bauch. Ich schlinge die Arme um den Hund und verberge das Gesicht in seinen Fellfalten. Von Heulkrämpfen geschüttelt lasse ich den Tränen freien Lauf. Mir doch egal, wie mein kunstvolles Make-up aussieht. Interessiert ja sowieso keinen. Dem Hund ist es wurscht, wie ich aussehe. Der, für den ich mich aufgebrezelt habe, kümmert sich in diesem Moment um Sandra. Allein der Name verursacht mir Brechreiz. Sandra. Schlagersängerinnen aus den 1980ern heißen Sandra. Und die Musik ist ähnlich quälend wie mein aktueller Gemütszustand. Ich drücke den Hund fester an mich. Earl beginnt zu zittern und jault leise. Dann leckt er mir die Tränen von den Wangen.
»Wenigstens du liebst mich noch«, jaule ich. Earl legt den Kopf schief und gibt ein schnarchendes Geräusch von sich. Ich interpretiere das als Ja. Und quittiere es mit einem erneuten Heulkrampf. Earl sabbert mein Shirt voll, ich sein Fell. Ein fairer Tausch. Der Hund hat sich seinen Anteil an den Leckereien, die ich mit Ich-sage-seinen-Namen-nicht-sonst-heule-ich-noch-mehr verzehren wollte, redlich verdient. In der Küche finden sich Erdbeeren – mit denen man tolle Sachen hätte machen können, eine Schinkenplatte, Weintrauben und knackfrisches Baguette. Dazu eine Flasche Prosecco und Zartbitter-Schokolade. Die frisst der Hund im Alleingang, die Erdbeeren und den Schinken teilen wir uns. Nur vom Prosecco bekommt mein tierischer Tröster nichts ab. Tut mir leid, aber den Alkohol brauche ich für mich ganz allein. Auf ein Glas verzichte ich und schlürfe die Brause direkt aus der Pulle. Gemeinsam mit der Schokolade schafft sie es, meine Heulkrämpfe auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Dafür bekomme ich Schluckauf.
»Ea…hiiieeks…rl, du bissu…bisssu du … hick … mein einsssiger Freund. Bissu.« Und er ist ein richtig guter Freund. Einer, der mitfühlt.
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