MoR 01 - Die Macht und die Liebe
befahl Jugurtha gleichmütig.
Die Folter in Numidien war kein ausgeklügeltes Verfahren, auch wenn Jugurtha wie alle barbarischen Herrscher Verliese hatte und manche Gefangene lange dort schmachten ließ. Jugurthas Kerker lagen tief im felsigen Sockel des Berges unter der Stadt Capsa versteckt und waren nur durch ein Labyrinth von Gängen vom Palast innerhalb der Zitadellenmauern her zugänglich. In ein solches Verlies wurde Nabdalsa geworfen, und dort wandten die unmenschlich rohen Soldaten, denen diese Aufgabe offenbar vererbt wurde, die Folter an.
Jugurtha erfuhr sehr bald, warum Nabdalsa dem schwächlichen Gauda diente, denn Nabdalsa berichtete alles. Es hatte genügt, ihm die Zähne und die Fingernägel einer Hand auszureißen. Jugurtha war gerufen worden, um Nabdalsas Geständnis anzuhören, und er hatte ahnungslos Bomilkar mitgebracht.
Bomilkar wußte, daß er die unterirdische Welt, in die er gleich eintreten würde, nie mehr verlassen sollte. Er schaute in den unendlich weiten, tiefblauen Himmel hinauf, sog tief die süße Wüstenluft ein, streifte mit dem Handrücken die seidigen Blätter eines blühenden Busches. Und er bemühte sich, diese Erinnerungen mit in die Finsternis zu nehmen.
Aus dem schlecht gelüfteten Verlies schlug ihnen ein bestialischer Gestank entgegen. Exkremente, Erbrochenes, Schweiß, Blut und abgestandenes Wasser ergaben zusammen eine ekelhafte Fäulnis, eine Luft, die jedem Menschen den Atem stocken ließ. Selbst Jugurtha schauderte, als er eintrat.
Die Befragung konnte nur unter großen Schwierigkeiten durchgeführt werden, denn Nabdalsas Gaumen blutete heftig, und da die Nase gebrochen war, konnte man die Blutung auch nicht dadurch zum Stillstand bringen, daß man ihm den Mund zustopfte. Diese Dummköpfe, dachte Jugurtha, hin und her gerissen zwischen dem Schreck über den furchtbaren Anblick, den Nabdalsa bot, und dem Zorn über die Gedankenlosigkeit seiner Folterknechte. Sie hatten ihr Werk an der einzigen Stelle begonnen, die sie mit ihren Folterinstrurnenten hätten verschonen sollen.
Aber es war egal. Nabdalsa stieß bei Jugurthas dritter Frage das eine, entscheidende Wort hervor, und es war nicht allzu schwer zu verstehen, obwohl es mit einem Schwall von Blut herauskam.
»Bomilkar.«
»Laßt uns allein«, befahl der König seinen Folterknechten. Zuvor mußten sie Bomilkar sicherheitshalber noch den Dolch abnehmen.
Als Bomilkar allein mit dem König und dem halb bewußtlosen Nabdalsa im Kerker stand, seufzte er tief. »Ich bedauere nur eines«, sagte er, »diese Geschichte wird unsere Mutter umbringen.«
Es war das Klügste, was er unter diesen Umständen hatte sagen können, denn so starb er durch einen einzigen Axthieb des Scharfrichters und wurde nicht langsam und qualvoll zu Tode gefoltert, wie sein Halbbruder es am liebsten gesehen hätte.
»Warum?« fragte Jugurtha.
Bomilkar zuckte die Achseln. »Als ich alt genug war, über mein Leben nachzudenken, Bruder, stellte ich fest, wie sehr du mich betrogen hast. Du hast mich mit derselben Herablassung behandelt, mit der du einen zahmen Affen behandelt hättest.«
»Was wolltest du?« fragte Jugurtha.
»Daß du mich Bruder nennst vor aller Welt.«
Jugurtha starrte ihn verwundert an. »Und dich über deinen Rang erhebe? Mein lieber Bomilkar, es kommt auf den Vater an, nicht auf die Mutter. Unsere Mutter ist eine Berberfrau aus dem Stamme der Gaetuler und noch nicht einmal die Tochter eines Häuptlings. Sie kann kein königliches Geblüt vererben. Würde ich dich vor aller Welt Bruder nennen, dann hieße das, ich nähme dich in die Linie Massinissas auf. Und das wäre, da ich zwei eigene Söhne habe, die rechtmäßige Erben sind, gelinde gesagt unklug.«
»Du hättest mich zu ihrem Vormund und zum Regenten ernennen können«, erwiderte Bomilkar.
»Mein lieber Bomilkar, das Blut unserer Mutter verbietet es! Dein Vater war ein kleiner Baron, fast ein Niemand. Mein Vater dagegen war Massinissas legitimer Sohn. Ich habe mein Königsblut von meinem Vater geerbt.«
»Aber du bist nicht legitim, nicht wahr?«
»Nein. Aber das richtige Blut ist da. Und Blut läßt sich nicht verleugnen.«
Bomilkar wandte sich ab. »Dann mach es kurz«, bat er. »Ich bin gescheitert - nicht du, sondern ich. Grund genug, zu sterben. Aber nimm dich in acht, Jugurtha.«
»In acht nehmen? Wovor? Vor Mordanschlägen? Weiterer Treulosigkeit, anderen Verrätern?«
»Vor den Römern. Sie sind wie die Sonne und der Wind und der Regen. Am Ende
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