MoR 01 - Die Macht und die Liebe
verjagt worden. Caepio und seinen acht Legionen standen also nur noch die glücklosen Tektosagern gegenüber. Ein einziger Blick auf die waffenstarrenden Reihen, die sich wie eine endlose Schlange die Hügel hinabwanden, genügte den Tektosagern, um zu erkennen, daß Zurückhaltung geboten war und nicht Heldenmut. König Copillus und seine Krieger zogen sich an die Mündung der Garonne zurück und warnten die dort lebenden Stämme. Dann warteten sie ab, ob Caepio denselben Fehler begehen würde wie Lucius Cassius im Jahr zuvor. In Tolosa waren nur einige wenige alte Männer zurückgeblieben. Die Stadt kapitulierte sofort, und Caepio triumphierte. Denn Caepio hatte gehört, daß hinter den Mauern von Tolosa angeblich ein Goldschatz lagerte. Jetzt konnte er den Schatz heben, ohne daß er eine einzige Schlacht geschlagen hatte. Fortuna war auf seiner Seite!
Vor einhundertundsiebzig Jahren hatten sich die Volsker-Tektosagern der gallischen Völkerwanderung angeschlossen, die von dem großen keltischen König Brennus angeführt wurde. Brennus überrollte Makedonien, zog durch Thessalien, zerschlug die griechische Verteidigungsfront am Thermopylenpaß und drang nach Mittelgriechenland und Epirus vor. Er zerstörte und plünderte die drei reichsten Tempel der Welt - den Dodonatempel in Epirus, den Zeustempel in Olympia und das große Heiligtum des Apollo und der Pythia in Delphi.
Doch dann schlugen die Griechen zurück, und die Gallier mußten mit ihrer Beute nach Norden flüchten. Brennus starb an den Folgen einer Verwundung, und damit löste sich sein großartiger Plan in Nichts auf. In Makedonien beschlossen die führerlosen Stämme, über den Hellespont nach Kleinasien zu ziehen. Ein Teil der Gallier siedelte sich dort an und gab der Gegend den Namen Galatien. Etwa die Hälfte der Tektosagern zog jedoch nach Tolosa zurück. Bei einer großen Beratung einigten sich die Stämme darauf, die Beute aus insgesamt fünfzig Tempelplünderungen den heimwärts ziehenden Tektosagern anzuvertrauen. Nach ihrer Heimkehr sollten sie die Ausbeute der Völkerwanderung in Tolosa aufbewahren, bis alle Stämme nach Gallien zurückkehren und ihren Anteil einfordern würden.
Um den Transport zu erleichtern, schmolzen sie alles ein: massivgoldene, gedrungene Statuen, fünf Fuß hohe Silberurnen, Becher, Teller und Pokale, goldene Dreifuße, Kränze aus Gold und Silber alles landete Stück für Stück im Schmelztiegel, und dann rollten eintausend schwerbeladene Karren durch die stillen Täler der Donau nach Westen. Es dauerte mehrere Jahre, bis sie die Garonne und Tolosa erreichten.
Caepio hatte in seiner Zeit als Statthalter von Hispania Ulterior von dieser phantastischen Geschichte gehört, und seitdem träumte er davon, den Schatz von Tolosa zu finden, obwohl sein spanischer Informant ihm damals versichert hatte, die Geschichte mit dem Schatz sei nur ein Märchen. In Tolosa gebe es kein Gold, das könne jeder beschwören, der einmal die Stadt besucht habe. Der Reichtum der Tektosagern beschränke sich auf den fischreichen Fluß und die fruchtbare Erde. Caepio aber glaubte an sein Glück. Er spürte, daß der Schatz in Tolosa lag. Warum sonst hatte die Fügung des Schicksals ihn dazu bestimmt, davon zu erfahren? Warum sonst war er ausersehen, als Nachfolger von Lucius Cassius nach Tolosa zu ziehen? Warum sonst waren die Germanen davongerannt und hatten ihm genau diese Stadt kampflos überlassen? Das Schicksal meinte es gut mit ihm.
Er legte seinen Brustpanzer ab und zog die purpurbesetzte Toga an. Dann streifte er durch die Straßen der Stadt, schaute in alle Nischen und Ecken der Zitadelle und wanderte über die Weiden und Äcker am Rande der Stadt, die nach spanischer Art angelegt waren. Tolosa war keine typisch gallische Siedlung - keine Druiden, keine kleinliche Bauweise. Selbst die Tempel waren nach spanischer Manier angelegt: malerische Parks mit künstlichen Bächen und Seen, die vom Wasser der Garonne gespeist wurden. Entzückend!
Nachdem seine eigene Suche vergeblich geblieben war, setzte Caepio die Legionäre auf den Schatz an. Es wurde eine ausgelassene Schatzsuche, die Soldaten waren vom Druck einer bevorstehenden Schlacht befreit und verteilten im Geiste schon ihren Anteil an der sagenhaften Beute.
Doch das Gold blieb unauffindbar. Sicher gab es in den Tempeln das eine oder andere wertvolle Kunstwerk - aber keinen Goldschatz. Die Zitadelle war eine einzige Enttäuschung, wie Caepio bereits festgestellt hatte. Sie barg
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