MoR 01 - Die Macht und die Liebe
kaltblütiger Bursche sein sollte, mit einem Hang zur Grausamkeit. Aber in der ganzen Zeit, die sie in Africa zusammen gekämpft hatten, hatte er nicht ein einziges Mal etwas erlebt, das diese Behauptungen bestätigt hätte, und es konnte auch gar nicht stimmen, denn sonst stünde Sulla gewiß nicht so hoch in Gaius Marius’ Gunst, wie es offensichtlich der Fall war. Nun, Quintus Sertorius verstand einfach nicht, daß Kaltblütigkeit und Grausamkeit begraben werden konnten, wenn auch nur zeitweilig, solange das Leben gut lief, solange man es genießen konnte, solange es genügend geistige und körperliche Herausforderungen bot. Und Quintus Sertorius verstand auch nicht, daß Sulla sehr wohl wußte, daß er Gaius Marius die innere, dunklere Seite seines Wesens nicht enthüllen durfte. Lucius Cornelius Sulla zeigte sich in der Tat von seiner besten Seite, seit Marius ihn zu seinem Quästor gemacht hatte - und es fiel ihm nicht einmal schwer.
»Oh!« Quintus Sertorius sprang auf. Er war so in seine Gedanken versunken gewesen, daß er nicht gehört hatte, wie sein Name gerufen wurde. Sein Bursche, der fast so stolz war wie Quintus Sertorius selbst, verpaßte ihm einen kräftigen Stoß in die Rippen. Quintus Sertorius stolperte zum Podium, und vor den Augen der ganzen Armee setzte der große Gaius Marius ihm den goldenen Kranz auf das Haupt. Die Soldaten jubelten, und Gaius Marius und Aulus Manlius schüttelten ihm die Hand.
Nachdem alle Abzeichen, Armreifen, Schmuckscheiben und Banner verteilt waren, erhielten einige Kohorten goldene und silberne Kränze für ihre Standarten als Auszeichnung für die ganze Mannschaft. Dann ergriff Gaius Marius das Wort.
»Gut gemacht, ihr Männer aus den capite censi «, rief er. Die Soldaten, die Auszeichnungen erhalten hatten, standen wie benommen um ihn herum. »Ihr habt bewiesen, daß ihr mutiger seid als die Mutigen, klüger als die Klugen, bereitwilliger als die Bereitwilligen. Ihr habt härter gekämpft als alle, die ich hart habe kämpfen sehen. Viele bislang schmucklose Feldzeichen sind jetzt mit Kränzen geschmückt, und diese Kränze sind redlich verdient. Wenn wir im Triumph durch Rom ziehen, werden die Römer voller Stolz auf euch blicken! Und in der Zukunft wird kein Römer mehr sagen können, den Männern des Plebejerheeres sei Rom nicht wichtig genug, als daß sie für Rom Schlachten gewinnen könnten!«
Im November sah es schon nach dem Beginn der Regenzeit aus, als Gesandte des Königs Bocchus von Mauretanien in Cirta eintrafen. Marius ließ sie mehrere Tage warten und reagierte nicht auf ihre dringlichen Bitten.
»Sie werden butterweich sein«, sagte er zu Sulla, bevor er sie endlich vorließ.
»Ich werde König Bocchus nicht vergeben«, teilte er ihnen als Eröffnungszug mit, »also geht nach Hause! Ihr verschwendet meine Zeit.«
Ihr Sprecher war ein jüngerer Bruder des Königs, Prinz Bogud, und Prinz Bogud trat eilig vor, ehe Marius seinen Liktoren bedeuten konnte, die Gesandtschaft hinauszuwerfen.
»Gaius Marius, du mußt uns anhören! Mein Bruder, der König, ist sich seiner Verfehlungen nur allzu bewußt!« sagte der Prinz. »Er bittet nicht um Vergebung, er bittet nicht darum, daß du beim Senat und beim Volk von Rom ein gutes Wort für ihn einlegst, damit er wieder als Freund und Verbündeter Roms angesehen wird. Er bittet nur darum, daß du im Frühjahr zwei deiner erfahrensten Legaten an seinen Hof in Tingis hinter die Säulen des Herkules entsendest. Dann wird er ihnen ganz genau erklären, warum er sich mit König Jugurtha verbündet hat, und er bittet um nichts weiter, als daß sie ihm mit offenen Ohren zuhören. Sie sollen ihm mit keinem Wort antworten - sie sollen nur dir berichten, was er gesagt hat, so daß du antworten kannst. Tu das, ich flehe dich an, gewähre meinem Bruder, dem König, diese Bitte!«
»Was, ich soll zwei von meinen besten Männern bis nach Tingis schicken, gerade wenn die Zeit der Feldzüge beginnt?« fragte Marius mit gut gespieltem Unglauben. »Nein! Ich kann sie höchstens bis Saldae schicken.« Das war ein kleiner Hafen ein Stück westlich von Cirtas Hafen Rusicade.
Die gesamte Gesandtschaft hob abwehrend die Hände. »Ganz unmöglich!« rief Bogud. »Mein Bruder, der König, möchte um jeden Preis eine Begegnung mit König Jugurtha vermeiden!«
»Icosium.« Marius nannte einen weiteren Hafen, vielleicht zweihundert Meilen westlich von Rusicade. »Ich schicke meinen besten Legaten, Aulus Manlius und meinen Quästor
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