MoR 01 - Die Macht und die Liebe
beschwichtigte, wo er nur konnte. Überall herrschen Angst und Schrecken, vor allem, weil wir bis jetzt noch keine einzige Schlacht gegen die Germanen gewonnen haben. Seit Carbo haben wir nur Niederlagen erlebt. Immer mehr Leute, vor allem einfache Leute, werden ungeduldig. Sie glauben uns nicht mehr, daß sechs gute römische Legionen ohne weiteres eine viertel Million undisziplinierter Barbaren besiegen könnten, sondern halten diese Behauptung für pure merda . Ich sage Dir, Gaius Marius, ganz Italien hat Angst, und ich zumindest kann Italien verstehen.
Einige unserer italischen Verbündeten haben ihre Haltung geändert und stellen nun freiwillig Truppen zur Verfügung - aufgrund dieser Bedrohung, nehme ich an. Die Samniten haben eine Legion leichtbewaffneter Fußsoldaten geschickt, die Marser eine wundervolle Legion Fußsoldaten, die alle nach römischem Standard ausgerüstet sind, und dann ist da noch eine gemischte Hilfslegion mit Männern aus Umbrien, Etrurien und Picenum. Du kannst Dir vorstellen, wie zufrieden unsere Senatoren sind - immerhin werden drei der vier zusätzlichen Legionen von den italischen Verbündeten bezahlt und unterhalten.
Alles schön und gut. Aber es gibt auch große Schwierigkeiten. Wir haben einfach nicht mehr genug Zenturionen, und das bedeutet, daß keine der neu verpflichteten Truppen eine gründliche Einweisung erhalten hat. Die eine zusätzliche Freiwilligenlegion ist nur so zusammengestückelt und hat keine Ahnung von Kriegführung. Gnaeus Mallius ist dem Vorschlag seines Legaten Aurelius gefolgt und hat die erfahrenen Zenturionen auf seine sieben Legionen verteilt. Also haben wir nun in jeder Legion ungefähr vierzig Prozent kampferfahrene Zenturionen. Militärtribunen hin oder her, ich muß Dir nicht erklären, daß es die Zenturionen sind, die die Kohorten zusammenhalten.
Offen gesagt, ich fürchte, daß Gnaeus Mallius scheitern wird. Er ist kein schlechter Mann, doch ich bezweifle stark, daß er den Germanen gewachsen ist. Er selbst hat während einer Senatssitzung Ende Mai gesagt, er könne nicht garantieren, daß jeder Mann in seiner Armee wisse, was er auf dem Schlachtfeld zu tun habe! Es gibt immer Männer in einer Armee, die nicht wissen, was sie auf dem Schlachtfeld tun sollen. Aber man stellt sich doch nicht vor den Senat und sagt es laut und deutlich!
Und was tat der Senat? Er sandte einen Befehl an Quintus Caepio in Narbo, er solle sich mit seiner Armee in Marsch setzen und sich an der Rhône mit den Truppen von Gnaeus Mallius vereinigen. Dieses eine Mal zögerte der Senat nicht - ein berittener Kurier überbrachte die Nachricht in weniger als zwei Wochen. Und Quintus Caepio zögerte nicht zu antworten. Gestern kam seine Erwiderung, und was für eine!
Natürlich enthielt die Botschaft des Senats auch die Anweisung an Quintus Servilius, sich dem Oberbefehl des diesjährigen Konsuls Gnaeus Mallius zu unterstellen. Alles ganz normal und üblich. Der Konsul des letzten Jahres kann prokonsularische Befugnisse haben, doch der amtierende Konsul hat den Oberbefehl.
Aber Quintus Caepio war entschieden anderer Meinung! Wie sei der Senat nur auf die Idee gekommen, daß er, ein Patrizier aus dem Hause Servilius, ein Nachfahre des großen Gaius Servilius Ahala, des Retters von Rom, sich einem Emporkömmling unterordnen werde? Einem Mann, der nicht einmal eine einzige Wachsmaske in seinem Ahnenschrein habe? Einem Mann, der nur zum Konsul gewählt worden sei, weil niemand von besserer Abkunft zur Verfügung gestanden habe? Letztes Jahr, dem Jahr seiner eigenen Wahl, sei das Aufgebot an Bewerbern respektabel gewesen, doch in diesem Jahr habe es nur zu einem alten, nicht sehr vornehmen Konsul gereicht - damit bin ich gemeint - und zu einem überheblichen Emporkömmling - Gnaeus Mallius. Also, schloß Quintus Caepio, werde er sich sofort auf den Weg zur Rhône machen. Dort erwarte er, einen Kurier des Senats vorzufinden mit der Nachricht, daß man ihm, Quintus Caepio, den Oberbefehl über das Unternehmen übertragen habe. Wenn Gnaeus Mallius ihm unterstellt sei, so Quintus Caepio, werde alles einwandfrei klappen.
Rutilius Rufus’ Hand begann zu schmerzen. Er legte den roten Stift mit einem Seufzer nieder und massierte sich die Finger. Seine Augenlider wurden schwer, und dann fiel sein Kopf nach vorne - er hielt ein Nickerchen. Als er nach einer Welle mit einem Ruck wieder erwachte, fühlte er sich besser und schrieb weiter.
Was für ein langer Brief! Doch niemand sonst
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