MoR 01 - Die Macht und die Liebe
hinzukommen werden, die Du bereits hast, und es schaudert mich. Du hast zu viele Ausnahmeregelungen bekommen. Ja, ich weiß, jede einzelne war notwendig für Dein politisches Überleben. Aber wie sagen die Griechen über ihren Odysseus? Sein Lebensfaden war so stark, daß er die Lebensfäden aller durchtrennte, die er traf. Ich denke, unser Senatsvorsitzender Marcus Aemilius hat nicht ganz unrecht mit seinen Einwänden, jedenfalls ist er nicht so engstirnig und borniert wie Schweinebacke Numidicus. Scaurus sieht die alten Traditionen, die zu Rom gehören, dahinschwinden, und mir geht es ebenso. Natürlich ist mir klar, daß diese ganzen erschreckenden, ungewöhnlichen Neuerungen nicht nötig wären, wenn der Senat Einsicht zeigen und Dir im Kampf gegen die Germanen freie Hand lassen würde. Doch dazu ist er eben nicht fähig. Die Senatoren würden immer versuchen, Dir Beschränkungen aufzuerlegen, und um das zu verhindern, muß Rom selbst den Scheiterhaufen errichten, auf dem die alten Traditionen verbrennen werden. Ich sehe es ein, aber dennoch schmerzt es mich.
Bis dahin war Marius’ Stimme genauso fest gewesen wie seine Entschlossenheit, Sulla alles vorzulesen. Doch die letzten Zeilen hatten seine Laune erheblich gedämpft.
»Der Brief ist nicht mehr sehr lang«, sagte er dennoch zu Sulla. »Ich lese dir den Rest vor.«
Deine Kandidatur, das muß ich zum Schluß noch erwähnen, hat alle ehrenhaften und angesehenen Bewerber abgeschreckt. Soweit sie schon auf der Kandidatenliste eingetragen waren, zogen sie die Kandidaturen zurück. So auch Quintus Lutatius Catulus Caesar, der erklärte, daß er mit Dir ebensowenig zusammenarbeiten werde, wie wenn sein Schoßhund als Konsul gewählt worden wäre. Demzufolge wird Dein Mitkonsul ein ziemlich unbedeutender Mann sein. Das sollte Dich nicht weiter stören, auf diese Weise wirst Du wenigstens in Ruhe arbeiten können, ohne Dich ständig mit Deinem Mitkonsul streiten zu müssen. Ich weiß, Du kannst es vor Neugier kaum noch aushalten, aber laß mir doch mein bißchen Getratsche! Ich sage nur soviel zu ihm: Er ist korrupt, aber das wirst Du vermutlich schon wissen. Sein Name? Gaius Flavius Fimbria.
»Oh, den kenne ich.« Sulla schnaubte verächtlich. »Ein Herumtreiber, der in Roms Sümpfen, die einmal auch meine Welt waren, nach Abenteuer und Vergnügen sucht. Sein Charakter ist so krumm wie die Hinterbeine eines Hundes.« Er fletschte die weißen Zähne, ein Anblick, der in einem dunkleren Gesicht als dem seinen noch fesselnder gewesen wäre. »Paß auf, Gaius Marius, daß er nicht eine seiner krummen Hinterpfoten hebt und dir ans Bein pinkelt.«
»Ich werde rechtzeitig zur Seite springen«, erwiderte Marius ungerührt. Er streckte seine Hand aus, und Sulla ergriff sie. »Ein Eid, Lucius Cornelius - du und ich, wir werden die Germanen schlagen.«
Ende November segelte die africanische Armee mit ihrem Kommandanten von Utika nach Puteoli, alle in bester Verfassung. Für diese Jahreszeit war die See ungewöhnlich ruhig, und weder der Nordwind, Septentrio, noch der Nordwestwind, Corus, störten die Überfahrt. Etwas anderes hatte Marius auch nicht erwartet. Sein Stern war im Aufsteigen, Fortuna gehorchte seinem Befehl ebenso wie seine Soldaten. Außerdem hatte Martha, die Syrerin, eine schnelle, ruhige Überfahrt vorausgesagt. Sie befand sich mit Marius auf dem Flaggschiff, eine alte, knochige Frau mit meckerndem Lachen. Die Seeleute - noch abergläubischer als andere Römer - betrachteten sie mit Unbehagen und Furcht und machten einen großen Bogen um sie. König Gauda wollte Martha zunächst nicht ziehen lassen, doch als sie auf den Marmorboden seines Thronsaales gespuckt und ihm und seiner Familie mit dem Fluch des bösen Blicks gedroht hatte, hatte er sie gar nicht schnell genug loswerden können.
In Puetoli meldete sich bald ein Quästor des Schatzamts bei Marius und Sulla. Er war neu im Amt, forsch und besorgt, daß die Listen über die Beute auch ja vollständig waren, doch zugleich auch sehr ehrerbietig. Marius und Sulla behandelten ihn mit ausgesuchter Höflichkeit, und da ihre Listen bewunderungswürdig genau geführt waren, trennte man sich hochzufrieden. Die Armee wurde in einem Lager außerhalb von Capua untergebracht. Dort befanden sich auch die neuen Rekruten im Training mit den Gladiatoren, die Rutilius Rufus verpflichtet hatte. Marius’ erfahrene Zenturionen konnten nun die Gladiatoren bei der Ausbildung unterstützen. Ein bedrückendes
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