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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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fiel in ihren Stuhl zurück. Wie groß er war! Wie braungebrannt und wie gesund und voller Leben! Er sah nicht einen Tag älter aus, sondern eher jünger, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln - seine Zähne schimmerten so weiß wie früher -, in seinen dichten Wimpern glitzerten kleine Lichter, und die dunklen Augen, die darunter versteckt lagen, leuchteten. Seine großen, wohlgeformten Hände streckten sich nach ihr aus. Und sie konnte sich nicht rühren! Was mußte er von ihr denken?
    Anscheinend nahm er es ihr nicht übel, denn er kam durch den Raum auf sie zu und zog sie sanft auf die Füße. Er machte keine Anstalten, sie zu umarmen, sondern stand nur da und sah sie mit seinem warmen Lächeln an. Dann legte er seine Hände um ihr Gesicht und küßte sie zärtlich auf die Augenlider, auf die Wangen und auf die Lippen. Sie legte ihre Arme um ihn, lehnte sich an ihn und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter.
    »Oh, Gaius Marius, ich freue mich so sehr, dich wiederzusehen!« sagte sie.
    »Ich freue mich genauso, Frau.« Seine Hände streichelten ihren Rücken, und sie konnte fühlen, wie sie zitterten.
    Sie hob ihr Gesicht. »Küß mich, Gaius Marius! Küß mich richtig!«
    Und so war ihr Wiedersehen genauso, wie sie es sich beide erhofft hatten, liebevoll und leidenschaftlich. Und nicht nur das. Da war auch die gemeinsame Freude an dem kleinen Marius und die Trauer über den Tod ihres zweiten Sohnes, die er nun mit seiner Frau teilen konnte.
    Zu seiner freudigen Überraschung war der kleine Marius ein Kind, wie es sich jeder Mann nur wünschen konnte - groß, kräftig, mit blondem Haar und heller Haut, die großen grauen Augen furchtlos und prüfend auf den Vater gerichtet. Die Erziehung war bisher wohl etwas zu milde gewesen, dachte Marius, aber das würde sich nun ändern. Der kleine Frechdachs würde bald lernen, daß ein Vater jemand war, den man zu ehren und zu respektieren hatte, so wie er selbst es in seinem Elternhaus gelernt hatte.
    Es gab noch mehr zu betrauern als den Tod seines Sohnes - Julia, das wußte er, hatte ihren Vater verloren, und nun teilte sie ihm mit großem Zartgefühl mit, daß auch sein Vater tot war. Er war in hohem Alter gestorben, und er hatte vor seinem Tod noch erlebt , wie sein ältester Sohn zum zweiten Mal zum Konsul gewählt wurde, und das unter wirklich bemerkenswerten Umständen. Der Tod war schnell und gnädig gekommen. Während er seinen Freunden von dem Empfang erzählte, den Arpinum seinem berühmtesten Bürger bereiten wollte, hatte ihn ein Schlaganfall ereilt.
    Marius legte sein Gesicht zwischen Julias Brüste und weinte. Sie tröstete ihn, und nach einer Welle sah er ein, daß alles zum richtigen Zeitpunkt geschehen war. Der Tod seiner Mutter, Fulcinia, lag bereits sieben Jahre zurück, und seither hatte sein Vater sehr unter dem Alleinsein gelitten. Wenn Fortuna auch nicht die Güte besessen hatte, ihn seinen Sohn noch einmal sehen zu lassen, so war er doch im Wissen um dessen ungewöhnliche Auszeichnung gestorben.
    »Wozu soll ich jetzt noch nach Arpinum reisen«, sagte Marius später zu Julia. »Wir werden hierbleiben, meine Geliebte.«
    »Publius Rutilius will bald herkommen. Sobald sich die neuen Volkstribunen ein wenig eingearbeitet haben, meinte er. Ich glaube, er befürchtet, daß es Schwierigkeiten mit ihnen geben könnte. Einige von ihnen sind sehr klug.«
    »Nun, bis dahin, mein liebstes, schönstes, geliebtes Weib, wollen wir an so lästige Dinge wie Politik nicht einmal denken.«

    Sullas Heimkehr verlief völlig anders. Er hatte sich nicht mit der gleichen unverhohlenen Freude auf die Heimreise gemacht wie Marius. Warum das so war, wollte er lieber erst gar nicht so genau erforschen. Wie Marius hatte er während der zwei Jahre in der africanischen Provinz sexuell enthaltsam gelebt, allerdings nicht aus Liebe zu seiner Frau - er wollte das neue, makellose Leben, das er begonnen hatte, durch nichts, aber auch gar nichts beschmutzen. Keine Unehrlichkeiten, keine Verrätereien an seinen Vorgesetzten, keine Intrigen, kein Ränke, keine Ausschweifungen - nichts, was seiner cornelischen Ehre oder dignitas auch nur den kleinsten Kratzer hätte versetzen können.
    Sulla, ein Schauspieler durch und durch, war vollkommen mit der neuen Rolle verschmolzen, die ihm sein Dienst als Quästor bei Marius bot. Er lebte in dieser Rolle, innerlich wie äußerlich, in allem, was er sagte oder tat. Bis jetzt war es ihm nicht

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