MoR 01 - Die Macht und die Liebe
außergewöhnliche Leistung.
»Gaius Lusius«, sagte Sulla trocken, »ich gebe dir einen guten Rat.«
Die Augenlider mit den langen Wimpern klapperten und senkten sich. »Von dir nehme ich jeden Rat entgegen, Lucius Cornelius.«
»Du bist auf eigene Faust von Rom gekommen und erst gestern zu uns gestoßen«, begann Sulla.
»Nicht von Rom, Lucius Cornelius«, unterbrach Lusius, »von Ferentinum. Mein Onkel Gaius Marius hat mir erlaubt, in Ferentinum zu bleiben, weil meine Mutter krank war.«
Aha, dachte Sulla, das erklärt, warum Marius so kurz angebunden war, als er seinen angeheirateten Neffen erwähnte! Er hatte den Grund für die verspätete Ankunft des jungen Mannes nicht breittreten wollen. Für sich selber hätte er eine kranke Mutter nie als Entschuldigung gelten lassen!
»Mein Onkel hat noch gar nicht nach mir gefragt«, klagte Lusius jetzt eifrig. »Wann kann ich ihn sehen?«
»Erst wenn er nach dir fragt, und ich habe meine Zweifel, ob er überhaupt fragen wird. Solange du nicht bewiesen hast, daß du etwas taugst, bringst du ihn nur in Verlegenheit, und sei es nur aus dem Grund, daß du bereits ein Sonderrecht für dich beansprucht hast, bevor der Feldzug überhaupt anfing - du bist zu spät gekommen.«
»Aber meine Mutter war krank«, sagte Lusius empört.
»Jeder von uns hat eine Mutter, Gaius Lusius - oder hatte eine. Manch einer mußte ausrücken, als seine Mutter krank war. Viele haben vom Tod der Mutter erfahren, als sie in fernen Länder kämpften. Viele sind ihrer Mutter in tiefer Liebe zugetan. Aber eine kranke Mutter gilt normalerweise nicht als ausreichende Entschuldigung für eine Verspätung beim Feldzug. Wahrscheinlich hast du den Kameraden in deinem Zelt schon gesagt, warum du zu spät gekommen bist?«
»Ja.« Lusius war immer verwirrter.
»Schade. Du hättest besser überhaupt nichts gesagt und deine Kameraden im dunkeln tappen lassen. Sie haben deshalb jetzt keine höhere Meinung von dir, und auch nicht von deinem Onkel Marius, dafür, daß er es zugelassen hat. Dein Onkel weiß das. Aber Familienbande sind Familienbande, auch wenn es dabei oft ungerecht zugeht.« Sulla runzelte die Stirn. »Doch nicht das wollte ich dir sagen. Ich wollte sagen: Dies ist die Armee des Gaius Marius, nicht die Armee des Scipio Africanus. Weißt du, was ich damit meine?«
»Nein.« Lusius war jetzt völlig konfus.
»Cato der Zensor hat Africanus und seinen Offizieren vorgeworfen, sie duldeten eine laxe Moral in der Truppe. Und Gaius Marius denkt in dieser Hinsicht eher wie Cato der Zensor als wie Scipio Africanus. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Nein.« Die Farbe wich aus Lusius’ Wangen.
»Ich glaube schon«, sagte Sulla. Er lächelte kühl und entblößte dabei seine langen Zähne. »Du fühlst dich zu schönen jungen Männern hingezogen, nicht zu schönen jungen Frauen. Dein so offen weibisches Wesen kann ich dir nicht vorwerfen, aber wenn du weiter Leute wie Gaius Julius mit deinen langen Wimpern anklapperst - und Gaius Julius ist zufällig wie ich ein Schwager deines Onkels -, dann steht dir das Wasser bald bis zum Hals. Das eigene Geschlecht zu bevorzugen, gilt in Rom nicht als Tugend. Im Gegenteil, es gilt als unerwünschtes Laster, besonders bei den Legionären. Sonst würden die Frauen der Städte, in deren Nähe wir unsere Lager aufschlagen, wohl kaum so viel verdienen, und die Frauen unserer besiegten Feinde würden unser Schwert nicht zuerst im Bett kennenlernen. Aber das muß dir bekannt sein, wenigstens zum Teil!«
Lusius wand und krümmte sich, hin und her gerissen zwischen einem unerklärlichen Gefühl der Minderwertigkeit und dem brennenden Empfinden erlittenen Unrechts. »Die Zeiten ändern sich«, protestierte er. »Was du mir vorwirfst, ist nicht mehr die gesellschaftliche Sünde, die es einmal war!«
»Du mißverstehst die Zeiten, Gaius Lusius, wahrscheinlich weil du dir wünschst, daß sie sich ändern, du und deine Freunde, die genauso denken wie du. Ihr kommt zusammen und tauscht Erfahrungen aus und klammert euch an alles, was zu euren Wünschen paßt.« Sulla war sehr ernst geworden. »Ich versichere dir, je besser du die Welt kennenlernst, in die du geboren worden bist, desto mehr wirst du erkennen, daß du dich selbst täuschst. Und wer sein eigenes Geschlecht bevorzugt, wird nirgends weniger Vergebung finden als in Gaius Marius’ Armee. Und keiner wird dich härter strafen als Gaius Marius, wenn er von deinem Geheimnis erfährt.«
Den Tränen nahe und in
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