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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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sagte er kurz. »Noch ein paar Zoll länger, und du siehst aus wie eine Tänzerin!«
    »Das ist ja merkwürdig!« sagte Sulla. Er rührte sich nicht.
    »Ich würde eher sagen schlampig«, erwiderte Marius.
    »Nein, es ist merkwürdig, daß dir meine Haare in den letzten Monaten nicht aufgefallen sind, sondern erst jetzt, wo ich dich in einer ganz bestimmten Sache aufsuche. Du kannst vielleicht nicht Gedanken lesen, Gaius Marius, aber du spürst instinktiv, was die Menschen in deiner Umgebung beschäftigt.«
    »Jetzt redest du auch noch wie eine Tänzerin. Warum brauchst du mich für einen Spaziergang?«
    »Weil ich dich persönlich sprechen muß, Gaius Marius, und zwar an einem Ort, an dem es keine Fenster oder Wände mit Ohren gibt. Deshalb habe ich an einen Spaziergang gedacht.«
    Wortlos legte Marius die Feder auf den Tisch, rollte das Pergament zusammen und stand auf. »Ein Spaziergang ist mir lieber als die Schreibarbeit, Lucius Cornelius. Gehen wir.«
    Rasch und stumm schritten sie durch das Lager, ohne die neugierigen Blicke zu beachten, mit denen Soldaten, Zenturionen und Offiziersanwärter ihnen nachsahen. Nach drei Jahren Dienst unter Gaius Marius und Lucius Cornelius Sulla hatten die Legionäre ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, wann eine wichtige Entscheidung bevorstand. Heute war ein solcher Tag, jeder spürte es.
    Es war bereits zu spät, um noch auf den Hügel zu steigen, deshalb blieben Marius und Sulla im offenen Gelände stehen, wo der Wind ihre Worte wegtrug.
    »Also, worum geht es?« fragte Marius.
    »Ich habe meine Haare schon in Rom wachsen lassen«, sagte Sulla.
    »Ich habe es bis jetzt nicht bemerkt. Ich nehme an, deine Haare haben etwas mit dem zu tun, weshalb du mich sprechen willst?«
    »Ich verwandle mich in einen Gallier.«
    Marius war auf einmal hellwach. »Aha! Fahre fort, Lucius Cornelius.«
    »Unser größter Schwachpunkt auf diesem Feldzug gegen die Germanen ist unser fataler Mangel an verläßlichen Informationen über sie. Von Anfang an, als die Taurisker den ersten Hilferuf an uns schickten und wir von der germanischen Wanderung erfuhren, waren wir ratlos, weil wir absolut nichts über sie wissen. Wir wissen nicht, wer sie sind, woher sie kommen, was für Götter sie anbeten, warum sie überhaupt ihre angestammte Heimat verlassen haben, unter welcher Ordnung sie leben und wie sie regiert werden. Vor allem aber wissen wir nicht, warum sie uns eine Niederlage nach der anderen beibringen und trotzdem nie nach Italien vorstoßen, während man einen Hannibal oder Pyrrhus nicht mit einer Million Kriegselefanten hätte aufhalten können.«
    Sulla sah geradeaus an Marius vorbei. Seine harten Augen leuchteten in den letzten Strahlen der Sonne, und Marius verspürte auf einmal eine beklommene Scheu. Es war einer jener seltenen Augenblicke, in denen ihm ein sonst verborgener Wesenszug an Sulla auffiel, Sullas »Unmenschlichkeit« . Er verstand darunter nicht Unmenschlichkeit im üblichen Sinn, es war vielmehr so, als ließe Sulla plötzlich einen Schleier fallen und entpuppte sich - nicht als Mensch und auch nicht als Gott, sondern als eine vom Menschen verschiedene Schöpfung der Götter. Dieser Wesenszug trat in dem Moment deutlich hervor, als das Sonnenlicht in Sullas Augen aufglühte, als käme es von dort.
    »Weiter«, sagte Marius.
    Sulla fuhr fort. »Bevor wir Rom verließen, kaufte ich zwei neue Sklaven. Sie haben mich auf der Reise begleitet und sind auch jetzt bei mir. Der eine ist ein Gallier von den Karnuten, jenem Stamm, der die keltische Religion so sehr beeinflußt hat. Die Gallier haben eine seltsame Religion - sie glauben, daß die Bäume lebendige Wesen sind, weil Geister oder Schatten oder so etwas ähnliches in ihnen wohnen. Man kann es nur schwer mit unseren Vorstellungen vergleichen. Der andere ist ein Germane von den Kimbern. Er geriet bei Noricum in Gefangenschaft, als Carbo dort besiegt wurde. Ich halte die beiden streng getrennt. Keiner weiß vom anderen.«
    »Hast du von deinem germanischen Sklaven nichts über die Germanen erfahren können?«
    »Überhaupt nichts. Er gibt vor, nicht zu wissen, wer sie sind oder woher sie kommen. Ich habe Nachforschungen angestellt und glaube jetzt, daß diese Unkenntnis typisch ist für die wenigen Germanen, die wir gefangennehmen und versklaven konnten. Ich bezweifle allerdings, daß außer mir noch ein anderer römischer Sklavenbesitzer je ernsthaft versucht hat, über seine Sklaven an Informationen zu kommen. Das ist

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