MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Plan, der mit Sicherheit alles andere als langweilig sein würde. Was für ein Plan! Was für ein Mann! Odysseus war der erste Spion, von dem die Geschichte berichtete. In den Kleidern eines trojanischen Niemands hatte er sich in die Mauern Ilions geschlichen, um dort alle Informationen zu sammeln, dererer habhaft werden konnte - und jeder grammaticus ließ seine Schüler mit Vorliebe die Frage diskutieren, ob Kalchas zu den Achaiern übergelaufen war, weil er die Trojaner satt hatte, weil er für König Priamos spionieren wollte oder weil er unter den griechischen Königen Zwietracht säen wollte.
Auch Odysseus hatte rote Haare gehabt und war von vornehmer Abstammung gewesen. Trotzdem - Marius konnte sich Sulla beim besten Willen nicht als zweiten Odysseus vorstellen. Sulla war eine Kategorie für sich, komplett und aus einem Guß. Genau wie sein Plan. Angst kannte dieser Mann nicht, soviel war klar. Er plante seine außergewöhnliche Mission mit dem nüchternen Kalkül des Geschäftsmannes, und das machte ihn - unverwundbar. Anders ausgedrückt, er handelte wie der römische Aristokrat, der er war. Er zweifelte nicht an seinem Erfolg, weil er wußte, daß er besser war als die anderen.
Marius ließ Faust und Ellbogen sinken und richtete sich wieder auf. Er atmete tief ein. »Glaubst du wirklich, daß du es schaffen kannst, Lucius Cornelius? Du bist so durch und durch ein Römer! Ich bewundere dich unendlich, und der Plan ist genial. Aber du mußt dafür alles verleugnen, was dich zum Römer macht, und ich weiß nicht, ob ein Römer das überhaupt kann. Unsere Kultur ist so übermächtig, daß sie ihre unauslöschlichen Spuren an uns hinterläßt. Du wirst eine Lüge leben müssen.«
Sulla hob eine rotgoldene Braue, und die Winkel seines schönen Mundes verzogen sich nach unten. »Ich habe mein ganzes Leben die eine oder andere Lüge gelebt, Gaius Marius.«
»Auch jetzt?«
»Auch jetzt.«
Sie machten sich auf den Rückweg zum Lager.
»Willst du allein gehen, Lucius Cornelius?« fragte Marius. »Glaubst du nicht, es könnte nützlich sein, wenn du jemanden bei dir hast? Falls du mir zum Beispiel eine dringende Botschaft zukommen lassen willst, aber nicht selbst gehen kannst? Wäre nicht ein Begleiter hilfreich, der dir den Spiegel vorhalten könnte, wie du umgekehrt auch ihm?«
»Ich habe darüber nachgedacht«, erwiderte Sulla, »und ich würde gern Quintus Sertorius mitnehmen.«
Marius war zuerst hocherfreut, aber dann runzelte er die Stirn. »Seine Haare sind zu dunkel. Er könnte nie als Gallier gelten, geschweige denn als Germane.«
»Stimmt. Aber er könnte ein Grieche mit keltiberischem Einschlag sein.« Sulla räusperte sich. »Ich habe ihm übrigens einen Sklaven gegeben, als wir Rom verließen. Einen Keltiberer vom Stamm der Illergeten. Ich habe Quintus Sertorius nicht gesagt, was ich vorhabe, sondern nur, daß er Keltiberisch lernen solle.«
Marius starrte Sulla an. »Du bist gut vorbereitet. Meine Hochachtung.«
»Ich kann Quintus Sertorius also mitnehmen?«
»Ja. Obwohl ich immer noch glaube, daß er zu dunkel ist, und fürchte, daß dir das zum Verhängnis werden könnte.«
»Es wird schon klappen. Quintus Sertorius ist für mich sehr wertvoll, und sein dunkles Aussehen könnte sogar ein Vorteil sein. Er hat den Tierzauber, und solche Menschen stehen bei allen barbarischen Völkern in hohem Ansehen. Seine dunkle Erscheinung paßt zum Bild des Schamanen.«
»Tierzauber? Was meinst du damit?«
»Quintus Sertorius kann wilde Tiere rufen. Ich habe das in Africa erlebt, als er einen Leoparden herbeipfiff und ihn streichelte. In meine Mission habe ich ihn allerdings erst eingeplant, als er den jungen Adler gesundpflegte und zähmte, ohne dabei den natürlichen Drang des Tieres nach ungehemmter Freiheit zu ersticken. Jetzt lebt der Adler das Leben, das die Natur für ihn bestimmt hat, aber er hat Sertorius nicht vergessen und kehrt ab und zu zurück, setzt sich auf seinen Arm und reibt den Schnabel an seiner Wange. Die Soldaten beten Sertorius an. Der Adler ist ein verheißungsvolles Omen.«
»Ich weiß. Der Adler ist das Symbol der Legionen, und Quintus Sertorius hat das Symbol zum Leben erweckt.«
Sie sahen zu den sechs silberbeschlagenen, von silbernen Adlern bekrönten Stangen hinüber, die man im Lager in den Boden gerammt hatte. Die Stangen waren mit Kronen, phalerae und torques geschmückt, und vor ihnen brannte ein Feuer auf einem Dreifuß. Die Wachen standen stramm, während ein
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