MoR 01 - Die Macht und die Liebe
vollständig aufgerieben, und die Sklaven nahmen ihnen ihre Waffen ab.
Die Sklaven hatten inzwischen einen Führer - wie zu erwarten ein Italiker, der noch nicht befreit war, als Nerva sein Büro zumachte. Er heißt Salvius und ist ein Marser. Als freier Mann scheint er Flötenspieler und Schlangenbeschwörer gewesen zu sein. Er wurde versklavt, als man ihn dabei erwischte, wie er bei einer Versammlung von Anhängerinnen des Dionysoskults die Flöte blies, jenes Kults, der vor einigen Jahren dem Senat so große Sorgen bereitet hat. Salvius nennt sich jetzt König, und weil er Italiker ist, versteht er darunter nicht einen hellenistischen, sondern einen römischen König. Statt des Diadems trägt er die toga praetexta , und ihm voraus gehen Liktoren mit fasces und Äxten.
Am anderen Ende Siziliens, in der Nähe von Lilybaeum, tauchte noch ein zweiter Sklavenkönig auf, ein Grieche namens Athenion, und auch er sammelte ein Heer. Salvius und Athenion trafen sich im Paliken-Heiligtum und einigten sich darauf, daß Salvius - er nennt sich jetzt König Tryphon - der Herrscher über alle aufständischen Sklaven ist. Als Hauptquartier hat er einen uneinnehmbaren Ort namens Triocala gewählt, der im Schoß der Berge an der Küste gegenüber von Africa liegt, etwa auf halbem Weg zwischen Agrigentum und Lilybaeum.
Gegenwärtig ist Sizilien eine wahre Ilias der Leiden. Die Ernte liegt niedergetrampelt am Boden, mit Ausnahme des Getreides, das die Sklaven geerntet haben, um die eigenen Mägen zu füllen. Rom wird in diesem Jahr nicht eine Ähre aus Sizilien bekommen. Die Städte Siziliens sind überfüllt, weil viele Freie in den sicheren Mauern Zuflucht gesucht haben, und Hunger und Krankheiten wüten überall. Ein Heer von über 60 000 wohlbewaffneten Sklaven und 5 000 Reitern schwärmt plündernd über die ganze Insel und zieht sich, wenn es bedroht wird, in die uneinnehmbare Burg Triocala zurück. Die Sklaven haben Murgantia angegriffen und eingenommen, und fast wäre ihnen auch Lilybaeum in die Hände gefallen. Lilybaeum wurde in letzter Minute von einigen Veteranen gerettet, die von den Unruhen gehört hatten und von Africa übergesetzt hatten, um zu helfen.
Aber jetzt kommt der größte Skandal: Rom steht nicht nur eine drastische Getreideverknappung bevor, es sieht auch sehr danach aus, daß jemand in Sizilien durch Manipulationen absichtlich versucht hat, eine Getreideknappheit zu verursachen. Der Sklavenaufstand hat die vorübergehende Verknappung, die durch die Manipulationen bewirkt worden wäre, dramatisch verschlimmert, aber unser geschätzter Senatsvorsitzender Scaurus verfolgt eine Spur, die ihn, wie er hofft, zu dem Schuldigen oder den Schuldigen führt. Ich glaube, er verdächtigt unseren achtbaren Konsul Fimbria und Gaius Memmius. Warum sollte ein anständiger und aufrechter Mann wie Memmius sich mit jemandem wie Fimbria einlassen? Nun, ich glaube, ich weiß die Antwort. Memmius hätte schon vor Jahren Prätor werden sollen, er ist es aber erst jetzt geworden, und er hat nicht das Geld, um für das Konsulat zu kandidieren. Wenn aber Geld einen Mann daran hindert, das Amt zu bekommen, auf das er ein Recht zu haben glaubt, dann ist der Mann in der Lage, viele unkluge Dinge zu tun.
Gaius Marius legte den Brief mit einem Seufzer hin und griff nach den offiziellen Berichten des Senats, um auch sie zu lesen. Zum Glück war er allein, er konnte die Worte also laut vor sich hinbuchstabieren, wenn das Durcheinander zu groß wurde. Lautes Lesen an sich war keine Schande, das taten die anderen auch, aber von den anderen erwartete man auch, daß sie Griechisch konnten.
Publius Rutilius hatte wie immer recht. Sein langer Brief war unendlich viel aussagekräftiger als die offiziellen Berichte, obwohl diese den wörtlichen Text von Nervas Brief enthielten und jede Menge Zahlen. Sie waren einfach nicht so fesselnd und amüsant geschrieben, sie brachten die Sache nicht so auf den Punkt, wie Rutilius das tat.
Gaius Marius konnte sich die Aufregung in Rom gut vorstellen. Eine drastische Getreideverknappung gefährdete einige politische Karrieren, das Schatzamt konnte nicht erbaut sein, und die Ädilen mußten verzweifelt versuchen, anderswo Getreide herzubekommen. Sizilien war die Kornkammer Roms, und wenn Sizilien nicht lieferte, nagte Rom am Hungertuch. Aus Africa und Sardinien zusammen kam nicht einmal halb soviel Getreide nach Rom wie aus Sizilien! Als Folge der gegenwärtigen Krise würde das Volk dem Senat
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