MoR 01 - Die Macht und die Liebe
eigentlich zufrieden die Hände reiben müssen, statt ihren Besitz wie verrückt zu Bargeld zu machen, um das geborgte Geld zurückzuzahlen. Also nicht Fimbria und Memmius! Er mußte sich anderswo umsehen.
Als dann der Brief von Publius Licinius Nerva in Rom eintraf und das ganze Ausmaß der sizilianischen Krise klar wurde, hörte Scaurus in den Kreisen der Getreidehändler immer häufiger den Namen eines bestimmten Senators, und seine empfindlichen Nüstern witterten eine verheißungsvolle Spur - verheißungsvoller als die vermeintliche Spur zu Fimbria und Memmius. Der Name war Lucius Appuleius Saturninus, der Quästor des Hafens in Ostia. Saturninus war jung und neu im Senat, aber wenn er die Getreidepreise manipulieren wollte, dann saß er auf dem besten Platz, der einem jungen Senator zugänglich war. Der Quästor von Ostia überwachte die Ankunft der Getreideschiffe und die Lagerung des Getreides, er kannte sämtliche am Getreidegeschäft beteiligten Händler persönlich und erfuhr alle möglichen Informationen früher als alle anderen im Senat.
Heimliche Nachforschungen überzeugten Scaurus, daß er den Richtigen gefunden hatte. Als der Senat Anfang Oktober zu einer Sitzung zusammentrat, holte Scaurus zum Schlag aus, um die Ehre des Senats zu retten. Lucius Appuleius Saturninus, so verkündete er einem totenstillen Haus, sei der Drahtzieher hinter dem vorzeitigen Anstieg des Getreidepreises, der es den Schatzbeamten unmöglich gemacht habe, für die staatlichen Speicher Getreide zu einem vernünftigen Preis einzukaufen. Damit hatte der Senat seinen Sündenbock. Die Senatoren waren empört und beschlossen mit großer Mehrheit, Lucius Appuleius Saturninus von seinem Posten als Quästor zu entbinden, ihm den Sitz im Senat zu entziehen und ihn wegen Wuchers anzuklagen.
Als Saturninus aus Ostia vor den Senat zitiert wurde, konnte er wenig mehr tun, als Scaurus‘ Vorwürfe bestreiten. Handfeste Beweise gab es nicht, weder für ihn noch gegen ihn. Es ging also letzten Endes darum, wer von beiden glaubwürdiger war.
»Beweise mir meine Schuld!« schrie Saturninus.
»Beweise mir deine Unschuld!« höhnte Scaurus.
Und natürlich glaubten die Senatoren dem Senatsvorsitzenden, denn an Scaurus‘ Integrität bei der Verfolgung staatsfeindlicher Umtriebe konnte kein Zweifel bestehen, das wußte jeder. Saturninus verlor Amt und Senatssitz.
Aber Lucius Appuleius Saturninus war ein Kämpfer. Mit dreißig hatte er genau das richtige Alter, um Quästor und frischgebackener Senator zu sein. Umgekehrt bedeutete seine Jugend natürlich, daß niemand ihn genauer kannte. Er war nie bei einem spektakulären Prozeß als Zeuge aufgetreten und hatte sich auch während seiner Lehrzeit in der Armee nicht besonders hervorgetan. Saturninus kam aus einer Senatorenfamilie in Picenum. Als der Senat ihm Quästur und Senatssitz entzog, konnte er nichts dagegen tun. Nicht einmal protestieren konnte er, als der Senat den Posten in Ostia, der ihm so viel bedeutet hatte, für den Rest des Jahres ausgerechnet dem Senatsvorsitzenden Scaurus gab! Aber Saturninus war ein Kämpfer.
In Rom glaubte niemand an seine Unschuld. Wohin er ging, wurde er beschimpft und angepöbelt, manche warfen sogar mit Steinen nach ihm. Die Außenwand seines Hauses war bald mit üblen Schimpfworten übersät - Schwein, Päderast, Eiterbeule, Dieb, Ungeheuer, Wichser und andere Beinamen bedeckten dicht an dicht den Putz der Mauer. Seine Frau und seine Tochter wurden von der Gesellschaft geächtet und saßen den größten Teil des Tages weinend im Haus. Sogar seine Sklaven sahen ihn mißtrauisch an und reagierten unwillig, wenn er eine Bitte äußerte oder ungeduldig einen Befehl brüllte.
Saturninus’ bester Freund war der relativ unbekannte Gaius Servilius Glaucia. Einige Jahre älter als Saturninus, genoß Glaucia einen bescheidenen Ruf als Advokat und Verfasser glänzender Gerichtsreden. Er gehörte allerdings nicht dem patrizischen Zweig des Geschlechts Servilius an und war auch kein bedeutender plebejischer Servilius. Von seinem Ruf als Rechtsanwalt abgesehen, war Glaucia in etwa mit jenem anderen Gaius Servilius vergleichbar, der unter den Fittichen seines Patrons Ahenobarbus zu Geld gekommen war und es bis in den Senat geschafft hatte. Dafür hatte dieser andere plebejische Servilius noch keinen cognomen . »Glaucia« war ein durchaus respektabler Beiname, denn er spielte auf die schönen blaugrauen Augen der Familie an.
Saturninus und Glaucia waren ein
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