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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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vorwerfen, einen unfähigen Statthalter nach Sizilien geschickt zu haben, und die capite censi würden sowohl das Volk als auch den Senat lautstark für ihre leeren Mägen verantwortlich machen.
    Die Besitzlosen waren nicht politisch organisiert. Sie wollten nicht herrschen, und es war ihnen egal, wer sie beherrschte. Was sie am öffentlichen Leben interessierte, waren lediglich Sitze bei den Spielen und Geschenke bei den Festen. Es sei denn, sie hungerten. Dann allerdings wurden sie zu einer Kraft, mit der man rechnen mußte.
    Zwar bekamen die Proletarier ihr Getreide nicht kostenlos, aber der Senat ließ durch seine Ädilen und Quästoren sicherstellen, daß es zu einem günstigen Preis an sie abgegeben wurde, auch wenn das in Zeiten des Getreidemangels sehr zum Verdruß der Beamten bedeutete, daß man Getreide teuer einkaufen und trotzdem zum selben billigen Preis abgeben mußte. Jeder in Rom wohnende römische Bürger konnte Getreide zum staatlich garantierten Billigpreis kaufen, egal wie reich oder arm er war. Er mußte nur bereit sein, sich an der langen Schlange am Tisch des Ädils im Porticus Minucia anzustellen, wo die Getreidemarken ausgeteilt wurden. Gegen Abgabe der Marken konnte er dann in einem der staatlichen Kornspeicher entlang des Aventin oberhalb des Hafens von Rom die ihm zustehenden fünf modii billiges Getreide kaufen. Daß nur wenige Reiche dort einkauften, war reine Bequemlichkeit. Es war so viel einfacher, auf dem Getreidemarkt im Velabrum einzukaufen und das Getreide von den Händlern aus den privaten Getreidespeichern am Vicus Tuscus am Fuß des Palatin direkt ins Haus liefern zulassen.
    Gaius Marius wußte, daß die Getreideverknappung auch für ihn selbst gefährlich werden konnte. Unwillig runzelte er die Augenbrauen. Sobald der Senat das Schatzamt aufforderte, ihre mit Spinnweben bedeckten Truhen zu öffnen, um für teures Geld Getreide für die Armen zu kaufen, würde das Geheul losgehen. Die tribuni aerari, die für die Versorgung zuständigen Beamten des Schatzamtes, würden mißmutig erklären, daß sie unmöglich größere Summen für Getreide ausgeben könnten, wenn sie schon eine sechs Legionen starke Proletarierarmee bezahlen müßten, die gegenwärtig in Gallia Transalpina Straßen baue! Sie würden dem Senat alle Schuld geben, und der Senat würde sich auf häßliche Auseinandersetzungen mit ihnen einlassen müssen, um das Getreide trotzdem zu bekommen. Und dann würde der Senat sich natürlich beim Volk darüber beschweren, daß die Proletarier wie immer Scherereien machten und Geld kosteten.
    Schöne Aussichten! Wie konnte er hoffen, zum zweitenmal hintereinander in absentia zum Konsul gewählt zu werden, wenn er eine Armee von Proletariern befehligte und Rom hungrigen Proletariern ausgeliefert war? Verrotten sollte Publius Licinius Nerva! Und mit ihm alle Getreidespekulanten!

    Nur der Senatsvorsitzende Marcus Aemilius Scaurus hatte bereits vor der Krise gespürt, daß etwas im Gange war. Gegen Ende des Sommers fiel der Getreidepreis in Rom gewöhnlich etwas, weil eine neue Ernte vor der Tür stand. In diesem Jahr dagegen war er stetig gestiegen. Der Grund schien auf der Hand zu liegen: Die Befreiung der italischen Sklaven ließ erwarten, daß weniger Getreide geerntet würde. Aber dann waren die Sklaven gar nicht befreit worden, und man konnte wieder mit einer normalen Ernte rechnen. Jetzt hätten die Preise eigentlich drastisch fallen müssen. Aber sie fielen nicht. Sie stiegen weiter.
    Für Scaurus wies alles auf Schiebereien hin, bei denen Senatoren ihre Hände im Spiel hatten. Seine eigenen Nachforschungen führten ihn zu Konsul Fimbria und Stadtprätor Gaius Memmius, die beide den ganzen Frühling und Sommer über Geld geliehen hatten, wo sie nur konnten. Scaurus argwöhnte, daß sie billiges Getreide aufgekauft hatten, um es jetzt mit enormem Gewinn loszuschlagen.
    Aber dann traf die Nachricht vom Sklavenaufstand in Sizilien ein. Fimbria und Memmius begannen sofort, ihren ganzen Besitz zuverkaufen. Sie behielten nur ihre Häuser auf dem Palatin und so viel Land, daß sie in der für Senatoren vorgeschriebenen Zensusklasse bleiben konnten. Daraus schloß Scaurus, daß sie, was immer die Natur ihrer Geschäfte gewesen war, nichts mit der Getreideversorgung zu tun hatten.
    Er irrte sich, aber der Irrtum war verzeihlich: Denn hätten der Konsul und der Stadtprätor etwas mit dem schwindelerregenden Anstieg des Getreidepreises zu tun gehabt, hätten sie sich jetzt

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