MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Konsul Gaius Flavius Fimbria war indisponiert, nach Meinung vieler Senatoren war er das dieser Tage auffallend häufig.
»Hast du das neueste Gerücht gehört?« fragte Metellus Numidicus, als sie langsam die Stufen zur curia hostilia hinaufstiegen und den Saal betraten. Zwar hatte der Herold die Senatoren noch nicht zur Sitzung gerufen, aber die meisten Senatoren, die schon eingetroffen waren, warteten nicht draußen, sondern gingen hinein und setzten drinnen ihr Schwätzchen bis zum Beginn der Sitzung fort, die offiziell mit Opfern und Gebeten eröffnet wurde.
»Was für ein Gerücht?« fragte Scaurus geistesabwesend. Was ihn gegenwärtig am meisten beschäftigte, war die Getreideversorgung.
»Lucius Cassius und Lucius Marcius haben sich zusammengetan und wollen in der Volksversammlung beantragen, daß Gaius Marius wieder als Konsul kandidieren darf - und wieder in absentia !«
Scaurus blieb abrupt einige Schritte vor seinem Stammplatz in der ersten Reihe stehen, wo sein persönlicher Diener bereits den Klappstuhl zwischen dem Stuhl des Metellus Numidicus und dem des pontifex maximus Metellus Delmaticus aufgestellt hatte. Er sah Numidicus mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an.
»Das wagen sie nicht!« flüsterte er.
»Natürlich wagen sie das! Kannst du dir das vorstellen? Eine dritte Amtszeit als Konsul, das gab es noch nie - damit machen wir ihn zum Diktator auf Dauer! Warum wurde denn die Amtszeit des Diktators für den Fall, daß Rom einmal einen brauchte, was selten genug vorkam, auf ein halbes Jahr beschränkt? Doch nur, um zuverhindern, daß dem Diktator seine Macht zu Kopf steigt! Und jetzt das, dieser - Bauer, der immer seine eigenen Regeln durchsetzen will!« Metellus hatte sich in Rage geredet.
Scaurus sank auf seinen Stuhl, plötzlich um Jahre gealtert. »Wir sind selbst schuld«, sagte er schleppend. »Wir waren nicht so mutig wie unsere Vorfahren, sonst hätten wir diesen lästigen Pilz einfach herausgerissen! Warum wurden Tiberius Gracchus, Marcus Fulcius und Gaius Gracchus beseitigt, aber nicht Gaius Marius? Er hätte schon vor Jahren zurechtgestutzt werden müssen.«
Metellus Numidicus zuckte die Achseln. »Er ist ein Bauer. Die Gracchen und Fulvius Flaccus waren Adlige. Lästiger Pilz ist eine gute Beschreibung für Marius - über Nacht schießt er irgendwo aus dem Boden, aber wenn man ihn herausreißen will, ist er schon wieder woanders.«
»Das muß ein Ende haben!« rief Scaurus aufgebracht. »Man kann nicht in Abwesenheit zum Konsul gewählt werden, schon gar nicht zweimal hintereinander! Dieser Mensch hat die Traditionen des römischen Staates häufiger gebrochen als jeder andere in der Geschichte der Republik. Ich glaube allmählich, er will nicht nur der Erste Mann in Rom sein, sondern König!«
»Ganz meine Meinung«, sagte Metellus Numidicus. Er setzte sich. »Aber wie sollen wir ihn loswerden? Für einen Mordanschlag ist er nie lange genug in Rom!«
»Lucius Cassius und Lucius Marcius«, sagte Scaurus verwundert. »Das verstehe ich nicht! Sie gehören zwei der vornehmsten und ältesten plebejischen Geschlechter an! Kann man nicht an ihr Verantwortungsbewußtsein appellieren, an - an - ihr Gefühl für Anstand?«
»Na, über Lucius Marcius wissen wir ja Bescheid«, sagte Metellus Numidicus. »Marcius hat seine ganzen Schulden bezahlt. Jetzt hat er zum ersten Mal in seinem mißratenen Leben Geld. Aber bei Lucius Cassius liegen die Dinge anders. Er reagiert überempfindlich, wenn das Volk über unfähige Feldherrn wie seinen verstorbenen Vater herzieht, und er ist sich geradezu krankhaft bewußt, welches Ansehen Marius beim Volk genießt. Er glaubt vermutlich, er könne den guten Ruf seiner Familie wiederherstellen, wenn das Volk sieht, wie er Marius in seinem Kampf gegen die Germanen beisteht.«
Scaurus grunzte nur als Antwort auf diese Theorie.
Sie konnten ihr Gespräch nicht fortsetzen, da die Sitzung eröffnet wurde. Gaius Memmius erhob sich, um zu sprechen - er sah sehr hager aus in diesen Tagen und damit schöner denn je.
»Eingeschriebene Väter«, begann er, eine kurze Schriftrolle in der Hand. »Ich habe einen Brief von Gnaeus Pompeius Strabo aus Sardinien erhalten. Der Brief war an mich adressiert und nicht an unseren geschätzten Konsul Gaius Fimbria, weil die Aufsicht über die römischen Gerichte meine Aufgabe als Stadtprätor ist.«
Er hielt inne und funkelte die hinteren Reihen der Senatoren böse an. Dabei brachte er es fertig, fast häßlich
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