MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Frauen der Familie an den Beratungen teilnehmen. Das weiß Marcus Livius ganz genau. Wir überleben zusammen oder sterben zusammen. Ein starker Mann braucht starke Frauen um sich.«
Mit schwindelndem Kopf versuchte Livia Drusa, sich einen Reim auf das widersprüchliche Verhalten der Schwägerin während der letzten Minuten zu machen. Schließlich erkannte sie, was für eine schreckhafte Maus sie selbst ihr ganzes Leben gewesen war. Drusus hatte erwartet, von einer Frau begrüßt zu werden, die völlig aufgelöst war, sich dann aber schnell beruhigte und praktisch handelte, und Servilia Caepionis hatte diesen Erwartungen in jeder Hinsicht entsprochen.
Livia Drusa folgte Servilia Caepionis also ins Arbeitszimmer und unterdrückte ihr Entsetzen, als Servilia allen Wein einschenkte, der nicht mit Wasser verdünnt war. Zaghaft nippte sie an dem ersten unverdünnten Alkohol ihres Lebens. Gedanken wirbelten in ihrem Kopf durcheinander. Und sie war wütend.
Gegen Ende der zehnten Stunde brachte Lucius Antistius Reginus den verurteilten Quintus Servilius Caepio. Caepio sah erschöpft aus, davon abgesehen wirkte er aber mehr verärgert als niedergeschlagen.
»Ich habe ihn aus den Lautumiae geholt«, sagte Antistius knapp. »Solange ich Volkstribun bin, kommt kein Konsular ins Gefängnis! Das ist eine Beleidigung des Romulus und des Quirinus und des Jupiter Optimus Maximus. Wie konnten sie es wagen!«
»Sie haben es gewagt, weil das Volk und die Landstreicher aus dem Zirkus sie dazu ermutigt haben«, sagte Caepio finster. Er stürzte seinen Wein in einem Zug hinunter. »Mehr«, sagte er zu seinem Sohn, und der beeilte sich, den Wunsch zu erfüllen, glücklich, daß sein Vater in Sicherheit war. »In Rom bin ich erledigt.« Caepios schwarze Augen blitzten zornig, als er zuerst Drusus und dann seinen Sohn ansah. »Es ist jetzt an euch jungen Männern, das Recht meiner Familie auf ihre alten Privilegien und den Vorrang, der ihr von Natur aus zukommt, zu verteidigen. Notfalls bis zum letzten Atemzug. Alles, was Marius, Saturninus und Norbanus heißt, muß vernichtet werden - mit dem Messer, wenn das die einzige Möglichkeit ist. Habt ihr mich verstanden?« Caepios Sohn nickte gehorsam. Drusus bewegte sich nicht, den mit Wein gefüllten Becher in der Hand, das Gesicht ausdruckslos
»Vater, ich schwöre dir, daß unsere Familie den Verlust ihrer dignitas nicht hinnehmen wird, solange ich ihr Oberhaupt bin« sagte der junge Caepio feierlich. Er schien jetzt ruhiger.
Er gleicht seinem abscheulichen Vater mehr denn je, dachte Livia Drusa haßerfüllt. Warum hasse ich ihn nur so abgrundtief? Warum hat mein Bruder mich gezwungen, ihn zu heiraten?
Dann vergaß sie ihr eigenes Unglück. Auf dem Gesicht ihres Bruders sah sie einen Ausdruck, der sie faszinierte und zugleich verwirrte. Nicht, daß Drusus anderer Meinung zu sein schien als ihr Schwiegervater - er schien dessen Worte vielmehr abzuwägen und sie zusammen mit vielen anderen Dingen, die er noch nicht ganz verstanden hatte, innerlich abzulegen. Plötzlich erkannte Livia Drusa, daß auch ihr Bruder den alten Caepio haßte! Wie er sich verändert hatte, ihr Bruder! Während der junge Caepio sich nie ändern würde. Er würde nur immer ausgeprägter das werden, was er schon war.
»Was willst du tun, Vater?« fragte Drusus.
Ein seltsames Lächeln erschien auf Caepios Gesicht. Die Wut in seinen Augen erstarb, und an seine Stelle trat eine unentwirrbare Mischung aus Triumph, Verschlagenheit, Schmerz und Haß. »Ich gehe ins Exil, wie es die Versammlung der Plebs befohlen hat, lieber Junge.«
»Aber wohin, Vater?« fragte sein Sohn.
»Nach Smyrna.«
»Wo können wir Geld auftreiben?« fragte der junge Caepio. »Ich denke nicht so sehr an mich - Marcus Livius wird mir aushelfen - als an dich. Wovon willst du im Exil leben?«
»Ich habe Geld in Smyrna hinterlegt, mehr als genug für meine Bedürfnisse. Aber auch du brauchst dir keine Sorgen zu machen, mein Sohn. Deine Mutter hat dir ein großes Vermögen hinterlassen, das ich treuhänderisch für dich aufbewahrt habe. Es ist mehr, als du brauchst.«
»Aber wird es nicht auch beschlagnahmt?«
»Nein, aus zwei Gründen nicht. Erstens ist es bereits auf deinen Namen überschrieben. Zweitens liegt es nicht in Rom, sondern zusammen mit meinem Geld in Smyrna.« Caepios Lächeln wurde breiter. »Du mußt einige Jahre hier im Haus von Marcus Livius wohnen, dann schicke ich dir nach und nach dein Vermögen. Wenn mir etwas zustoßen
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