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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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so oft erzählen, daß Castor und Pollux ihre Bärte rot gefärbt hätten! Ich weiß gar nicht genau, warum sie mit Marcus Porcius verkehren. Aber ich habe eine Vermutung. Mein Vater ist darauf gekommen.«
    »Auf was?« fragte Livia Drusa, innerlich zitternd.
    »Na ja, die Nachkommen aus Catos zweiter Ehe haben rote Haare. Cato der Zensor hatte übrigens selber auch rote Haare. Aber Licinia und Aemilia Paulla waren beide dunkel, und ihre Söhne und Töchter haben braune Haare und braune Augen. Catos Sklave Salonius dagegen war ein Keltiberer aus Salo in Hispania Citerior; und er war blond. Seine Tochter Salonia war sogar hellblond. Deshalb haben ihre Nachkommen Catos rote Haare und seine grauen Augen behalten.« Servilia Caepionis zuckte die Achseln. »Die Familie von Domitius Ahenobarbus erzählt eine Legende, nach der sie die roten Bärte von einem Vorfahren geerbt haben, der von Castor und Pollux an den Wangen berührt wurde! Um diese Tradition fortzusetzen, heiraten die männlichen Familienmitglieder immer rothaarige Frauen. Aber rothaarige Frauen sind selten. Ich könnte mir vorstellen, solange keine bessere rothaarige Frau zur Verfügung steht, heiratet ein Domitius Ahenobarbus auch eine Cato Salonius. Sie sind so eingebildet, daß sie glauben, ihr Blut könne alles verkraften.«
    »Gnaeus Domitius’ Freund hat also eine Schwester?«
    »Das hat er.« Servilia Caepionis schüttelte sich. »Ich muß ins Haus. Was für ein Tag. Komm, das Essen ist sicher fertig.«
    »Geh schon voraus«, sagte Livia Drusa. »Ich muß vor dem Essen noch meine Tochter stillen.«
    Die Erwähnung des Babys reichte aus, daß die arme, nach einem Kind hungernde Servilia Caepionis ins Haus stürzte. Livia Drusa kehrte zum Geländer zurück und sah hinunter. Gnaeus Ahenobarbus und sein Besucher standen immer noch da. Der Besucher, der einen Sklaven als Urgroßvater hatte. Vielleicht war die hereinbrechende Dämmerung daran schuld, daß die Haare des Mannes unter ihr auf einmal allen Glanz verloren hatten, daß er zu schrumpfen schien und seine Schultern schmaler wirkten. Sein Hals sah auf einmal lächerlich aus, er war zu lang und dürr für einen echten Römer. Vier schimmernde Tränen tropften auf das gelb gestrichene Geländer, nicht mehr.
    Ich habe mich wie gewöhnlich zum Narren halten lassen, dachte Livia Drusa. Vier ganze Jahre habe ich einem Mann nachgetrauert, von dem sich jetzt herausstellt, daß er der Urenkel eines Sklaven ist - eines Sklaven aus Fleisch und Blut, nicht eines Sklaven aus der Legende. Ich habe ihn in meiner Einbildung zu einem König macht, vornehm und tapfer wie Odysseus. Ich war Penelope, die geduldig auf ihn wartet. Und jetzt erfahre ich, daß er gar kein Adliger ist. Nicht einmal anständige Vorfahren hat er! Cato der Zensor war schließlich auch nur ein Bauer aus Tusculum und ein Schützling des Patriziers Valerius Flaccus. Ein echter Vorläufer von Gaius Marius. Der Mann auf dem Balkon da unten ist der Nachfahre eines Sklaven und eines Bauern aus Tusculum. Was für eine Närrin bin ich doch! Wie dumm, wie schrecklich dumm!
    Noch bevor sie das Kinderzimmer betrat, hörte sie die kleine Servilia schreien. Ihre regelmäßigen Mahlzeiten waren an diesem ereignisreichen Tag durcheinandergekommen, und sie hatte Hunger. Livia Drusa nahm sich eine Viertelstunde Zeit und stillte sie.
    Bevor sie ging, sagte sie zu dem makedonischen Kindermädchen: »Suche eine Amme für das Baby. Ich möchte mich ein paar Monate erholen, bevor ich wieder gebäre. Und wenn das zweite Kind da ist, kannst du ihm gleich eine Amme besorgen. Offensichtlich schützt das Stillen nicht vor Schwangerschaft, sonst wäre ich nicht schon wieder schwanger.«
    Sie trat in das Speisezimmer und setzte sich so unauffällig wie möglich auf einen Stuhl mit gerader Lehne, ihrem Mann Caepio gegenüber. Der Hauptgang wurde gerade hereingebracht, und alle schienen Appetit zu haben. Auch Livia Drusa stellte fest, daß sie hungrig war.
    Caepio sah sie besorgt an. »Dir fehlt doch nichts, Livia Drusa? Du siehst krank aus.«
    Erschrocken sah sie ihn an, und zum ersten Mal in all den Jahren die sie ihn kannte, rief sein Anblick keinen Sturm von Haßgefühlen in ihr hervor. Zwar hatte er keine roten Haare, keine grauen Augen, keine hochgewachsene, geschmeidige Gestalt und keine breiten Schultern, und er würde nie König Odysseus sein. Aber er war ihr Mann. Er liebte sie treu, er war der Vater ihrer Kinder; und er war väterlicher- wie mütterlicherseits ein

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