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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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bewahrt.«
    »Das bezweifle ich«, sagte Sulla ruhig. »Sicher, es stimmt, daß die Kimbern beim Ausbruch des Gewitters in Panik gerieten und flohen - es waren die Kimbern, die gegen Carbo kämpften, sie standen seiner Armee am nächsten. Aber ich glaube nicht, daß das Unwetter sie davon abhielt, in Gallia Cisalpina einzufallen. Der wirkliche Grund scheint einfach der zu sein, daß sie grundsätzlich nicht gern Krieg führen, um Land zu gewinnen.«
    »Wie faszinierend! Und wir hier glauben, es mit einer Horde geifernder Barbaren zu tun zu haben, die danach dürsten, in Italien einzufallen.« Marius sah Sulla durchdringend an. »Was geschah dann?«
    »Sie zogen weiter bis zum Quellgebiet der Donau. Im achten Jahr ihrer Wanderung schloß sich ihnen eine Gruppe echter Germanen an, die Cherusker, die von ihrem Land an der Weser nach Süden gezogen waren, und im neunten Jahr stieß ein Volk aus Helvetia zu ihnen, die Tiguriner, die anscheinend im Osten des Lemannus-Sees gelebt haben und eindeutig Kelten sind. Wie auch die Markomannen, soviel ich weiß. Obwohl Markomannen und Tiguriner sehr germanische Kelten sind.«
    »Du meinst, sie sind nicht mit den Germanen verfeindet?«
    »Weit weniger jedenfalls als mit ihren keltischen Brüdern!« Sulla grinste. »Die Markomannen haben jahrhundertelang Krieg gegen die Boier geführt, und die Tiguriner gegen die Helvetier. Als die Wagen der Germanen vorbeikamen, haben sie sich wahrscheinlich gedacht, es könnte nichts schaden, zur Abwechslung einmal ins Blaue loszuziehen. Als der Zug durch den Jura nach Nordgallien kam, war er schon deutlich über achthunderttausend Menschen stark.«
    »Die dann über die armen Häduer und Ambarrer herfielen. Und bei ihnen blieben.«
    Sulla nickte. »Über drei Jahre. Die Häduer und Ambarrer waren aus weicherem Holz geschnitzt. Sie sind halbe Römer, Gaius Marius! Gnaeus Domitius hat ihnen die Zähne gezogen, um unsere Provinz Gallia Transalpina zu sichern. Die Germanen fanden Geschmack an unserem feinen Weißbrot. Eine gute Unterlage für ihre Butter! Und zum Auftunken für ihren Bratensaft. Und sie konnten es ihrem gräßlichen Blutpudding beimischen.«
    »Du scheinst aus leidvoller Erfahrung zu sprechen, Lucius Cornelius.«
    »In der Tat, das kann man sagen!« Das Lächeln schwand aus Sullas Gesicht, und er betrachtete nachdenklich die Oberfläche des Weines in seinem Becher. Dann sah er abrupt Marius an. Seine Augen funkelten. »Sie haben sich einen gemeinsamen König gewählt.«
    »Oho!« sagte Marius leise.
    »Er heißt Boiorix und ist ein Kimber. Die Kimbern sind zahlenmäßig das stärkste Volk.«
    »Aber der Name ist doch keltisch«, wandte Marius ein. »Boiorix - Boier. Ein mächtiges Volk. Es gibt überall Kolonien der Boier - in Dakien, Thrakien, Gallia Transalpina, Gallia Cisalpina und Helvetia. Vielleicht haben sie vor langer Zeit auch eine Kolonie bei den Kimbern gegründet, wer weiß? Denn wenn dieser Boiorix sagt, er sei ein Kimber, dann ist er das auch. Die Kimbern sind ja wohl nicht so primitiv, daß sie ihre Ahnen nicht kennen.«
    »Sie wissen ziemlich wenig von ihren Ahnen.« Sulla stützte sich auf seinen Ellbogen. »Nicht, weil sie besonders primitiv wären, sondern weil ihre ganze Gesellschaft eine andere Struktur hat als bei uns. Anders übrigens auch als bei allen anderen Mittelmeervölkern. Die Kimbern sind keine Bauern. Ein Volk, das nicht seit Generationen ein bestimmtes Land besitzt und bestellt, kennt keine feste Bindung an den Boden. Es kennt auch die Familie in unserem Sinn nicht. Das Leben im Stamm - in der Gruppe, wenn du willst - hat Vorrang. Man ißt auch gemeinsam. Für die Kimbern ist das naheliegender. Wo Häuser lediglich zum Schlafen dienen und keine Küchen haben oder überhaupt nur Wagen sind, natürlich gleichfalls ohne Küche, da ist es einfacher, gleich das ganze Tier an den Bratspieß zu stecken und zu braten, damit der ganze Stamm davon essen kann.
    Die Sagen über ihre Vorfahren beziehen sich auf den Stamm oder gleich auf mehrere Stämme, aus denen das Volk besteht. Sie haben zwar Helden, die sie besingen, aber sie schmücken deren Taten so maßlos aus, daß die wirklichen Fakten oft nicht mehr dahinter auszumachen sind - schon ein Häuptling, der erst vor zwei Generationen gelebt hat, wird zum Perseus oder Herkules. Die wirkliche Person ist nur noch ein Schatten. Die geographischen Vorstellungen der Kimbern sind genauso schattenhaft. Die Stellung, die jemand innehat - also Anführer, Häuptling,

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