Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
Priester oder Schamane -, ist wichtiger als die Identität des jeweiligen Menschen. Der Mann tritt ganz hinter seiner Stellung zurück! Er trennt sich von seiner Familie, und seine Familie hat an seinem Aufstieg keinen Anteil. Wenn er stirbt, wählt der Stamm einen Nachfolger, ohne dabei Ansprüche der Familie zu berücksichtigen, wie es bei uns üblich ist. Die Kimbern haben ganz andere Vorstellungen von der Familie als wir, Gaius Marius.« Sulla richtete sich auf, um sich Wein einzuschenken.
    »Man merkt, daß du bei ihnen gelebt hast!« sagte Marius überwältigt.
    »Mir blieb doch nichts anderes übrig!« Sulla nahm einen Schluck Wein und goß dann Wasser dazu. »Ich bin ihn nicht mehr unverdünnt gewöhnt«, sagte er dann. Es klang überrascht. »Macht nichts, das wird sicher bald wieder.« Er runzelte die Stirn. »Ich konnte mich bei den Kimbern einschmuggeln, als sie noch versuchten, den Durchgang durch die Pyrenäen zu erzwingen. Es muß im November letzten Jahres gewesen sein, ich war gerade von dem Besuch bei dir zurückgekehrt.«
    »Wie hast du es geschafft?« fragte Marius fasziniert.
    »Die Kimbern hatten das gleiche Problem wie alle Völker, die einen langen Krieg erleben - auch wir hatten es, besonders nach Arausio. Bei den Kimbern marschieren Männer, Frauen und Kinder zusammen, nur die Alten und Kranken müssen zurückbleiben. Jeder Krieger, der stirbt, hinterläßt deshalb mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Witwe und Waisen. Die Witwen werden zu einer Belastung, wenn ihre Söhne zu jung sind, um in relativ kurzer Zeit selbst Krieger zu werden. Sie müssen also danach trachten, unter den Kriegern neue Männer zu finden, die noch zu jung sind oder zu schlapp, um schon eine Frau zu haben. Wenn eine Frau für sich und ihre Kinder einen neuen Mann findet, darf sie weiter mitziehen. Ihr Wagen ist ihre Mitgift. Nicht alle Witwen haben allerdings Wagen. Es finden auch nicht alle Witwen einen neuen Mann. Der Besitz eines Wagens hilft entscheidend. Die Witwen bekommen eine Frist, in der sie sich neu verheiraten müssen. Drei Monate - eine Jahreszeit. Dann werden sie und ihre Kinder getötet, und die Stammesmitglieder, die keinen Wagen haben, losen um die freigewordenen Wagen. Sie töten auch überzählige Mädchen und alle, die als zu alt gelten, um noch etwas zum Nutzen des Stammes beizutragen.«
    Marius machte eine Grimasse. »Und ich dachte schon, wir seien grausam genug!«
    Aber Sulla schüttelte den Kopf. »Was ist grausam, Gaius Marius? Die Germanen und die Gallier sind wie die anderen Völker. Sie bauen ihre Gesellschaft so auf, daß sie als Volk überleben. Wer zu einer Belastung wird, die die Gemeinschaft nicht verkraften kann, muß verschwinden. Und was ist besser - die Frauen ohne Männer ihrem Schicksal preisgeben oder ihnen einen Schlag auf den Kopf verpassen? Langsam an Hunger und Kälte zugrunde gehen oder schnell und schmerzlos sterben? So sehen sie es. So müssen sie es sehen.«
    »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Marius zögernd. »Ich persönlich freue mich an unseren Alten. Ihnen zuzuhören, ist die Nahrung und Unterkunft wert, die man ihnen gibt.«
    »Aber wir können es uns leisten, die alten Menschen am Leben zu erhalten, Gaius Marius! Rom ist reich. Deshalb kann es wenigstens einige von denen unterstützen, die der Gesellschaft nichts mehr nützen. Aber das Aussetzen ungewollter Kinder ist bei uns immerhin nicht verpönt!«
    »Nein, natürlich nicht!«
    »Wo liegt also der Unterschied? Wenn die Germanen eine Heimat finden, werden sie den Galliern ähnlicher werden. Wie ja die Gallier, die mit Griechen oder Römern in Berührung kommen, diesen immer ähnlicher werden. Wenn die Germanen erst seßhaft sind, können sie ihre harten Gebräuche lockern. Sie werden wohlhabend genug sein, um alte Menschen und Witwen und deren Kinder zu versorgen. Sie sind keine Städter, sondern Menschen vom Land. Städter haben wieder andere Sitten, ist dir das schon einmal aufgefallen? In den Städten werden die Alten und Kranken durch Seuchen aus dem Weg geräumt, und die Bauern verlieren dort ihre Bindung an Land und Familie. Je größer Rom wird, desto ähnlicher werden die Römer den Germanen wieder.«
    Marius kratzte sich am Kopf. »Ich kann dir nicht mehr folgen, Lucius Cornelius. Komm wieder zum Thema zurück! Was hast du erlebt? Hast du dich einem Stamm als Krieger angeschlossen und eine Witwe geheiratet?«
    Sulla nickte. »Genau das. Sertorius hat in einem anderen Stamm dasselbe gemacht, wir

Weitere Kostenlose Bücher