MoR 01 - Die Macht und die Liebe
zugleich in der germanischen Sprache nicht zu fremd klang. Die Lösung lautete »Cornel«.
Die beiden Säuglinge waren, wie Zwillinge sein sollten. Sie ähnelten sich so sehr, daß man sie kaum auseinanderhalten konnte, sie waren zufrieden, wenn sie beieinander waren, und sie wuchsen schnell und weinten wenig. Zwillinge kamen selten vor, und daß dieses fremde Paar Zwillinge bekommen hatte, galt als ein Omen und trug wesentlich dazu bei, daß Sulla Häuptling einer ganzen Gruppe kleiner Stämme wurde. In dieser Eigenschaft nahm er an dem großen Rat aller drei germanischen Völker teil, den Boiorix, der König der Kimbern, einberufen hatte, nachdem es ihm gelungen war, den Streit zwischen den Aduatukern und den Teutonen ohne Blutvergießen beizulegen.
Natürlich wußte Sulla seit langem, daß er die Germanen bald verlassen mußte. Er verschob seine Abreise jedoch bis nach dem großen Rat. Obwohl sein Privatleben von untergeordneter Bedeutung hätte sein sollen, machte er sich Sorgen darüber, was nach seiner Abreise aus Hermana und seinen Söhnen werden würde. Den Männern des Stammes hätte er vielleicht noch vertraut, aber den Frauen nicht, und bei häuslichen Angelegenheiten setzten sich immer die Frauen durch. Sobald er verschwunden wäre, würde man Hermana zu Tode prügeln, nur ihre Söhne würden am Leben bleiben.
Inzwischen war es September geworden, und seine Zeit wurde immer knapper. Sulla traf eine Entscheidung, die weder in seinem noch in Roms Interesse lag - er entschloß sich, Hermana zu ihrem eigenen Volk nach Germanien zurückzubringen. Das aber bedeutete, daß er ihr erklären mußte, was er war und wer er war. Sie hörte weniger überrascht als fasziniert zu und schaute dann erstaunt ihre Söhne an, als begreife sie jetzt, wie wichtig sie waren, die Söhne eines Halbgottes. Sie zeigte keine Regung der Trauer, als er ihr mitteilte, daß er sie für immer verlassen müsse, wohl aber zeigte sie Dankbarkeit, als er ihr erklärte, daß er sie zu den Marsern nach Germanien bringen werde. Er hoffte, daß ihr eigener Stamm sie aufnehmen und ihr Schutz gewähren würde.
Anfang Oktober verließ Sulla mit seiner Familie nach Anbruch der Dunkelheit die riesige Wagenburg der Germanen. Schon zuvor hatten sie den Platz für ihren Karren und ihre Tiere so ausgewählt, daß sie ohne großes Aufsehen verschwinden konnten. Als der neue Tag anbrach, schlängelten sie sich noch immer zwischen germanischen Karren hindurch, aber niemand beachtete sie. Sie brauchten zwei Tage, bis sie das germanische Lager hinter sich hatten.
Die Marser siedelten nur ungefähr hundert Meilen von den Aduatukern entfernt, und der Weg führte über flaches Land. Aber zwischen dem Gebiet der Belgen in Nordgallien und Germanien floß der größte Strom Westeuropas: der Rhein. Irgendwie mußte Sulla Hermanas Wagen über den Fluß bringen, und irgendwie mußte er seine Familie vor Überfällen schützen. Auch diesmal vertraute er auf sein Band zur Göttin Fortuna, und sie ließ ihn nicht im Stich.
Sullas kleiner Zug erreichte den Rhein. Das Ufer war dicht bevölkert, und die Menschen interessierten sich nicht für einen einsamen Wagen und einen einsamen Germanen mit seiner Familie. Eine Barke fuhr regelmäßig über den Fluß, groß genug, um den Wagen aufnehmen zu können. Als Fährpreis wurde ein Krug kostbaren Weizens vereinbart. Da der Sommer recht trocken gewesen war, floß der Strom sehr ruhig dahin, und gegen drei weitere Krüge Weizen wurden auch Hermanas Tiere über den Fluß gesetzt.
In Germanien kamen sie schnell voran, denn in diesem Gebiet am Unterrhein waren die großen Wälder bereits gerodet. Die Menschen betrieben einfachen Ackerbau, verwendeten aber das Getreide eher als Winterfutter für die Tiere denn als Nahrung für sich selbst. In der dritten Oktoberwoche stieß Sulla auf den Stamm der Marser, aus dem Hermana stammte, und stellte sie unter den Schutz ihres Volkes. Und er schloß einen Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen dem Senat und dem Volk von Rom und den germanischen Marsern.
Der Abschied fiel beiden schwerer, als sie sich hatten träumen lassen, und sie weinten bittere Tränen. Hermana folgte Sullas Pferd zu Fuß, mit den Zwillingen auf den Armen, bis sie so erschöpft war, daß sie nicht mehr weiter konnte. Dann stand sie laut klagend noch lange an der Stelle, wo er für immer ihren Blicken entschwunden war. Während Sulla in südwestlicher Richtung davonritt, schwammen seine Augen in Tränen, und
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