MoR 01 - Die Macht und die Liebe
lange Zeit mußte er sich ganz auf den Instinkt seines Tieres verlassen.
Hermanas Stamm hatte ihm ein gutes Pferd gegeben, das er am nächsten Tag gegen ein anderes gutes Pferd eintauschte und so fort, bis er nach zwölf Tagen von der Quelle der Ems, wo sich die Siedlungen der Marser befanden, zu Marius’ Lager bei Glanum gelangte. Sullas Weg führte quer über das Land, er vermied die hohen Berge und die dichten Wälder, indem er den großen Flüssen folgte - vom Rhein zur Mosel, von der Mosel zur Saône, von der Saône zur Rhône.
Sein Herz war so schwer, daß er sich ständig zwingen mußte, das Land, durch das er zog, und die Menschen, denen er begegnete, aufmerksam zu beobachten. Als er sich einmal in der gallischen Sprache der Druiden sprechen hörte, kam ihm unvermittelt zu Bewußtsein, daß er, Lucius Cornelius Sulla, ein römischer Senator, mehrere germanische Dialekte fließend sprach und sogar etwas Gallisch!
Aber welche Verfügungen die Germanen bei den Aduatukern getroffen hatten, hatten weder Sulla noch Quintus Sertorius herausgefunden; das wurde erst im nächsten Frühjahr bekannt, lange nachdem die beiden Römer aus dem Leben ihrer germanischen Frauen verschwunden waren. Als sich die Kimbern, Teutonen, Tiguriner, Cherusker und Markomannen zu Tausenden und Abertausenden in Bewegung setzten und sich dann in drei große Gruppen aufteilten, um getrennt in Italien einzufallen, ließen sie den Aduatukern eine Wachmannschaft zurück, sechstausend ihrer besten Krieger. Sie sollten sicherstellen, daß die Aduatuker den Angriffen anderer Stämme nicht wehrlos ausgesetzt waren, denn sie hatten bei ihnen ihre gesamten Stammesschätze zurückgelassen - goldene Statuen, vergoldete Wagen, goldene Rüstungen, Votivbilder aus Gold, Münzen aus Gold, Berge von feinstem Bernstein und zahllose andere Kostbarkeiten, die sie auf ihren Wanderungen aufgehäuft hatten und die ihren von früheren Generationen angesammelten Reichtum weiter mehrten. Auf ihrem Marsch nach Italien nahmen sie nur das Gold mit, das sie an ihren Körpern trugen, ihre übrigen Reichtümer versteckten sie bei den Aduatukern - wie einst die gallischen Völker ihren Goldschatz bei den Volsker-Tektosagern von Tolosa.
Als Sulla Julilla wiedersah, verglich er sie sofort mit Hermana, und sie erschien ihm schlampig, nachlässig, ungebildet, unordentlich und ziellos - ja, sie war ihm verhaßt. Bei seiner letzten Rückkehr hatte Julilla immerhin gelernt, daß sie sich ihm nicht unter den Augen der Sklaven schamlos an den Hals werfen durfte. Doch bei dem Essen am Abend seiner Rückkehr wurde ihm klar, daß ihm diese besondere Qual eher deshalb erspart geblieben war, weil sich Marcia im Haus aufhielt, und nicht, weil Julilla ihm zu Gefallen sein wollte. Denn Marcias Gegenwart war unübersehbar - steif, ernst, verkniffen, lieblos, nachtragend. Sie war nicht in Würde gealtert, sondern trug ihre Witwenschaft nach all den glücklichen Jahren an der Seite von Gaius Julius Caesar wie eine schwere Last. Und Sulla vermutete, daß sie es auch als eine Last empfand, die Mutter einer so unvollkommenen Tochter wie Julilla zu sein.
Das verwunderte ihn nicht, denn die Ehe mit einer so unvollkommenen Frau wie Julilla war auch für ihn nur noch eine Last. Doch es erschien ihm politisch nicht opportun, sich von ihr zu trennen, sie war schließlich keine Metella Calva, die sich hemmungslos mit den niedrigsten Männern paarte. Julilla ließ sich nicht einmal mit hochgeborenen Männern ein, Treue war möglicherweise ihre einzige Tugend. Unglücklicherweise war auch ihre Trunksucht nicht so weit fortgeschritten, daß sie in Rom als Säuferin bekannt gewesen wäre. Marcia hatte dafür gesorgt, daß niemand davon erfuhr. Dies aber bedeutete, daß er ihre Trunksucht nicht als Grund für eine Scheidung durch diffareatio anführen konnte - selbst wenn er zu diesem entsetzlichen Verfahren bereit gewesen wäre.
Aber er konnte nicht länger mit ihr zusammenleben. Ihre körperlichen Bedürfnisse im Bett waren so verkümmert und flüchtig, daß er nichts anderes mehr empfinden konnte als eine geisterhafte, alles beherrschende Peinlichkeit. Er mußte Julilla nur anschauen, und jede erregungsfähige Faser seines Körpers zog sich zusammen wie Publius Vagiennius’ Schnecken. Er wollte sie nicht berühren, und er konnte es nicht ertragen, daß sie ihn berührte.
Für eine Frau war es leicht, sexuelle Begierde und sexuelle Erfüllung vorzutäuschen, aber ein Mann konnte sexuelle
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