MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Begierde ebensowenig vortäuschen wie sexuelle Erfüllung. Wenn Männer ihrem Wesen nach aufrichtiger sind als Frauen, dachte Sulla, dann vor allem deshalb, weil ihre Begierde stets sichtbar ist. Und Männer fühlen sich zu anderen Männern hingezogen, weil der Liebesakt zwischen ihnen nicht von einem Glaubensakt begleitet sein muß.
Für Julilla verhieß keiner dieser Gedanken Gutes. Sie hatte zwar keine Ahnung, was ihr Gatte dachte, doch sie fühlte sich schon durch sein offensichtlich geringes Interesse an ihr wie zerstört. Zwei Nächte hintereinander wies er sie zurück, und während sein Geduldsfaden immer dünner wurde, wurden seine Erklärungen immer oberflächlicher und dürftiger. Am dritten Morgen nach seiner Rückkehr stand Julilla noch vor Sulla auf, um ein reichliches Weinfrühstück zu sich zu nehmen. Doch plötzlich stand Marcia in der Tür.
Es folgte ein Streit zwischen den beiden Frauen, so erbittert und heftig, daß die Kinder in Tränen ausbrachen, die Sklaven flohen und Sulla sich in seinem tablinum einschloß und den Fluch der Götter über alle Frauen herabrief. Er schnappte Bruchstücke der Auseinandersetzung auf und folgerte daraus, daß der Grund des Streits nicht neu und dies auch nicht die erste Konfrontation war. Marcia beschuldigte Julilla mit einer Stimme, die bis zum Tempel der Magna Mater zu hören sein mußte, daß Julilla ihre Kinder völlig vernachlässige. Julillas kreischende Antwort schallte vermutlich bis zum Circus Maximus. Sie warf Marcia vor, sie habe ihr, der Mutter, die Zuneigung ihrer Kinder gestohlen, was also erwarte sie von ihr?
Der Kampf wütete länger als eine der üblichen verbalen Auseinandersetzungen - für Sulla ein weiteres Zeichen dafür, daß Thema und Argumente schon bei vielen Gelegenheiten ausgiebig eingesetzt worden waren. Der Streit lief fast mechanisch ab und endete im Atrium, direkt vor Sullas Arbeitszimmer. Marcia informierte Julilla, daß sie mit den Kindern und dem Kindermädchen einen langen Spaziergang machen werde und nicht wisse, wann sie zurückkomme, aber Julilla solle auf jeden Fall bis zu ihrer Rückkehr wieder nüchtern sein.
Sulla preßte die Hände auf seine Ohren, weil er nicht hören wollte, wie seine Kinder herzzerreißend um Frieden zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter flehten, und konzentrierte sich auf den Gedanken, wie schön seine Kinder waren. Noch immer erfüllte ihn die Freude, die er bei ihrem ersten Anblick nach so langer Zeit empfunden hatte. Cornelia Sulla war etwas über fünf und der kleine Lucius Sulla vier. Richtige kleine Menschen - alt genug, um leiden zu können, wie er aus seinen eigenen Kindheitserfahrungen wußte, die er zwar begraben, aber nie vergessen hatte. Wenn es einen mildernden Umstand dafür geben konnte, daß er seine germanischen Zwillingssöhne verlassen hatte, dann den, daß sie noch Säuglinge gewesen waren, mit wackeligen Köpfen, geifernden Mündern und Körpern, die von oben bis unten mit Runzeln und Falten übersät waren. Es würde ihm viel schwerer fallen, seine römischen Kinder zu verlassen, denn sie waren schon kleine Persönlichkeiten. Er empfand tiefes Mitleid und eine innige Liebe für sie, eine ganz andere Liebe, als er sie je einem Mann oder einer Frau entgegengebracht hatte. Diese Liebe war selbstlos und rein, unverdorben und offen.
Die Tür wurde aufgestoßen, Julilla stürzte mit wehenden Gewändern in Sullas Zimmer. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, und ihr Gesicht war dunkelrot vor Zorn. Und Wein.
»Hast du das gehört?« fragte sie scharf.
Sulla legte die Feder auf den Tisch. »Wie hätte ich das überhören können?« sagte er müde. »Ihr wart auf dem ganzen Palatin zu hören!«
»Diese alte Schreckschraube! Diese vertrocknete Henne! Sie wirft mir vor, daß ich meine Kinder vernachlässige! Muß ich mir das gefallen lassen?«
Soll ich, oder soll ich nicht? fragte sich Sulla. Warum ertrage ich sie eigentlich noch? Warum hole ich nicht meine kleine Schachtel mit dem weißen Pulver, das aus der Gießerei von Pisae stammt, und schütte ein wenig davon in ihren Wein? Dann würden ihr die Zähne aus dem Mund fallen, ihre Zunge würde sich verdrehen, als ob sie geräuchert würde, und ihre Brüste würden wie Schweinsblasen anschwellen und schließlich platzen. Warum suche ich nicht nach einem hübschen, feuchten Eichenbaum, unter dem ein paar makellose Pilze wachsen, und gebe sie ihr zu essen, bis ihr das Blut aus jeder Körperöffnung schießt? Warum gebe ich
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