MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Servilius dem Augur zu rächen, sobald sie volljährig seien. Das hat mir Scaurus erzählt. Vor allem der ältere Sohn, Lucius Lucullus Junior, ist sehr verbittert, wie es scheint. Das wundert mich nicht. Er ist schon äußerlich seinem Vater sehr ähnlich, warum also nicht auch innerlich? Wegen des arroganten Ehrgeizes eines homo novus vom Schlage Servilius Augurs in Schande zu geraten, kommt einem Bannfluch gleich.
Damit bin ich mit meiner Geschichte am Ende. Ich schreibe Dir bald wieder. Ich wünschte, ich könnte Dir gegen die Germanen helfen - nicht weil Du meine Hilfe nötig hättest, sondern weil ich mich so ausgeschlossen fühle.
Marius und Sulla erfuhren erst gegen Mitte April des Kalenderjahres, daß die Germanen begonnen hatten, ihr Lager abzubrechen, und im Begriff standen, das Gebiet der Aduatuker zu verlassen. Nach einem weiteren Monat kehrte Sertorius zurück und berichtete, es sei Boiorix gelungen, die Germanen als Volksverband so zusammenzuhalten, daß sein Plan durchführbar erschien. Die Kimbern und die von den Tigurinern angeführte Mischgruppe zogen am Rhein entlang, während die Teutonen in südöstlicher Richtung dem Lauf der Mosel folgten.
»Wir müssen damit rechnen, daß die Germanen im Herbst in drei verschiedenen Abteilungen vor den Grenzen des italischen Gallien ankommen werden«, sagte Marius. »Ich würde gerne persönlich Boiorix begrüßen, wenn er das Etschtal herabkommt, aber das wäre natürlich nicht vernünftig. Zuerst muß ich die Teutonen angreifen und kampfunfähig machen. Von den drei Gruppen werden hoffentlich die Teutonen am schnellsten vorankommen, wenigstens bis zur Durance, weil sie vorher keine Alpenpässe zu überwinden haben. Wenn wir die Teutonen dort schlagen können - und zwar richtig schlagen -, haben wir genug Zeit, um den Mons-Genava-Paß zu überschreiten und Boiorix und den Kimbern den Weg abzuschneiden, bevor sie das italische Gallien erreichen.«
»Du glaubst also nicht, daß Catulus Caesar allein mit Boiorix fertig wird?« fragte Manius Aquilius.
»Nein«, sagte Marius rundheraus.
Später, als er mit Sulla allein war, ließ er sich ausführlicher darüber aus, wie er die Chancen seines Mitkonsuls im Kampf gegen Boiorix einschätzte. Denn Quintus Lutatius Catulus würde sein Heer nördlich bis zur Etsch führen, sobald er es ausgebildet und ausgerüstet hatte.
»Er wird ungefähr sechs Legionen haben, und er hat das Frühjahr und den ganzen Sommer Zeit, um sie kampfbereit zu machen. Aber er ist kein richtiger Feldherr«, erklärte Marius. »Wir müssen also hoffen, daß Teutobod zuerst ankommt und daß wir ihn schlagen können. Dann müssen wir in irrwitziger Geschwindigkeit die Alpen überqueren und uns mit Catulus Caesars Legionen vereinigen, bevor Boiorix den Gardasee erreicht.«
Sulla hob die Augenbrauen. »Das klappt bestimmt nicht«, sagte er.
Marius seufzte. »Ich wußte, daß du das sagen würdest!«
»Und ich wußte, daß du wußtest, daß ich es sagen würde!« grinste Sulla. »Es ist unwahrscheinlich, daß die beiden Abteilungen, die Boiorix nicht selbst antreibt, schneller vorankommen als die Kimbern. Das Problem ist, daß du nicht genug Zeit hast, im passenden Moment an beiden Orten zu sein.«
»Dann bleibe ich eben hier und warte, bis Teutobod kommt«, entschied Marius. »Mein Heer kennt jeden Grashalm und jeden Zweig zwischen Massilia und Arausio, und die Männer brauchen nach zwei kampflosen Jahren dringend einen Sieg. Ihre Chancen sind hier ausgezeichnet, also muß ich bleiben.«
»Das ›ich‹ war nicht zu überhören, Gaius Marius«, sagte Sulla vorsichtig. »Hast du einen anderen Auftrag für mich?«
»Ja, Lucius Cornelius. Es tut mir leid, daß ich dich um eine wohlverdiente Gelegenheit bringen muß, ein paar Teutonen auszulöschen. Aber ich glaube, daß es besser ist, wenn ich dich als ersten Legaten zu Catulus Caesar schicke. Er wird dich als Legaten akzeptieren, schließlich bist du ein Patrizier«, sagte Marius.
Sulla blickte auf seine Hände, er war bitter enttäuscht. »Wie kann ich denn von Nutzen sein, wenn ich im falschen Heer dienen muß?«
»Normalerweise würde ich mir über den zweiten Konsul nicht so viele Sorgen machen, wenn ich nicht bei ihm alle Symptome erkennen wurde, die auch bei Silanus, Cassius, Caepio und Mallius Maximus vorhanden waren. Es ist so, Lucius Cornelius, glaub mir. Catulus Caesar hat weder für Strategie noch für Taktik ein Gespür. Er glaubt, beides sei ihm von den Göttern ins Gehirn
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