MoR 01 - Die Macht und die Liebe
hätten stürmen müssen, aber unsere Chancen stehen hier immer noch besser als anderswo. Außerdem hat Manius Aquilius inzwischen seine Stellung bezogen. Laß die Hörner blasen, ruf die Legionen zusammen. Ich will zu ihnen sprechen.«
Das war das übliche Verfahren. Kein römisches Heer zog ohne vorherige Ansprache des Feldherrn in eine größere Schlacht. Jeder Soldat konnte dabei einen Blick auf den Feldherrn in seiner Kriegsrüstung werfen. Die Reden dienten dazu, die Kampfmoral der Truppen zu heben, und dem Feldherrn bot sich hier die Gelegenheit, den Soldaten seine Strategie zu erklären. Die Schlachten verliefen zwar niemals nach einem genauen Plan - das wußte jeder -, aber in der Rede konnte der Feldherr den Soldaten klarmachen, was er von ihnen erwartete und wie sie sich verhalten sollten, wenn es im Kampf zu einer unerwartet großen Verwirrung kam. Manches römische Heer hatte eine Schlacht nur deshalb gewonnen, weil die Soldaten gewußt hatten, was der Feldherr von ihnen erwartete, und weil sie sich an die Strategie gehalten hatten, auch wenn gerade kein Tribun in der Nähe stand.
Der Sieg über die Ambronen hatte die Römer angestachelt, sie fieberten dem Kampf entgegen. Die Soldaten befanden sich alle in hervorragender physischer Verfassung, die Waffen und Rüstungen glänzten. Dicht gedrängt standen sie auf dem Appellplatz, während Marius seine Ansprache hielt. Sie wären ihm sogar in den Tartarus gefolgt, so verehrten sie ihn.
»Also dann, ihr fellatores , heute geht’s los!« brüllte Marius von seiner notdürftig zusammengenagelten Rednertribüne. »Wir waren einfach zu gut, das ist unser Problem! Jetzt wollen sie nicht mehr mit uns kämpfen! Wir müssen sie bis zur Weißglut reizen, so sehr, daß sie auch mit Legionen von Drachen kämpfen würden! Wir werden über unseren Wall und den Berg hinab stürmen und dort unten auf den Leichen der Ambronen herumtrampeln! Wir werden auf ihre Toten spucken! Und wenn es sein muß, werden wir auf ihre Toten pissen! Aber macht euch nichts vor: Sie werden zu Tausenden und Abertausenden durch die Furt stürmen! Ihre Zahl wird größer sein, als ihr unwissenden mentulae jemals zählen gelernt habt! Und wir werden nicht hier oben sitzen können wie Hühner auf der Stange, sondern wir werden ihnen Auge in Auge gegenüberstehen - und das heißt, daß ihr nach oben schauen müßt! Weil sie viel größer sind als wir! Sie sind Riesen! Und was sagen wir dazu? Jagt uns das Angst ein?«
»Nein!« brüllte die Menge wie aus einem Munde. »Nein, nein, nein!«
»Nein!« brüllte Marius wie ein Echo. »Und warum nicht? Weil wir die Legionen Roms sind! Wir folgen dem silbernen Adler bis zum Sieg oder bis in den Tod! Wir Römer sind die besten Soldaten, die die Welt je gesehen hat! Und ihr - die Soldaten des Gaius Marius - seid die besten Soldaten, die Rom je gesehen hat!«
Ihr Jubel wollte kein Ende nehmen, sie waren hysterisch vor Stolz, Tränen rannen über ihre Gesichter, jede Faser ihrer Körper war zum Zerreißen gespannt.
»Also los! Wir steigen über die Mauer und ziehen in einen schweren Kampf! Diesen Krieg können wir nur gewinnen, wenn wir die Wilden mit ihren verrückten Augen verprügeln, bis sie in die Knie gehen! Das heißt kämpfen, Männer! Das heißt weiterkämpfen, bis kein einziger von diesen Wilden mehr auf seinen Riesenfüßen steht!« Marius wandte sich zur Seite, wo sechs Männer in Löwenfellen standen und die polierten Stangen umklammerten, auf denen die sechs silbernen Adler mit ihren ausgebreiteten Schwingen steckten. »Da sind sie, eure Silberadler! Zeichen eures Mutes! Zeichen Roms! Zeichen meiner Legionen! Folgt den Adlern zum Ruhm!«
Selbst in dieser Hochstimmung hielten die Soldaten eisern Disziplin. In geordneten Reihen und ohne Eile zogen Marius’ sechs Legionen aus dem Lager und den Hügel hinunter, in einer Formation, die zugleich die Flanken schützte, da hier die Reiterei nicht eingesetzt werden konnte. Wie eine Sichel bauten die Römer ihre Reihen vor den Germanen auf. Kaum hatten die Germanen gesehen, daß die Römer die toten Ambronen bespuckten und mit den Füßen traten, trafen sie ihre Entscheidung, noch vor ihrem König Teutobod. Sie stürmten durch die Furt und prallten direkt auf die römische Front, die sie aber nicht erschüttern konnten. Die erste Welle der anstürmenden Germanen fiel unter einem Hagel von pila , die mit erstaunlicher Treffsicherheit auf sie geworfen wurden, denn Marius’ Truppen hatten zwei Jahre
Weitere Kostenlose Bücher