MoR 01 - Die Macht und die Liebe
verhinderte nämlich, daß die ungeheuren Reichtümer der Poebene der italienischen Halbinsel zugute kamen. Alle Flüsse verliefen von Osten nach Westen oder von Westen nach Osten, und die unwirtliche Bergkette der Apenninen teilte die Halbinsel von Gallia Cisalpina in der ganzen Länge von den Ufern der Adria bis zur ligurischen Küste. Gallia Transpadana war ein eigenes Land, das wiederum in zwei Länder geteilt war, das eine lag südlich, das andere nördlich des großen Flusses.
Als der Frühling dem Sommer wich und die ersten winzigen Anzeichen für eine Erschöpfung des Landes sich zeigten, kam Boiorix auf seinen Plan zurück. Die Pflanzen hatten sich zwar selbst versamt, aber sie waren dünn geblieben und bildeten nur wenige Ähren oder Schoten. Die Schweine, schlaue Tiere, spürten als erste, daß das Futter knapper wurde, und verschwanden. Die fünfhunderttausend Stück Vieh der Kimbern hatten alles abgegrast und fanden nur noch ein paar staubige, zertrampelte Halme.
Es war an der Zeit, weiterzuziehen. So rief Boiorix seine Häuptlinge zusammen und erteilte den Befehl zum Aufbruch, den diese wiederum an die Mannschaften weitergaben. Anfang Juni trieb man das Vieh und die Pferde zusammen, die Wagen wurden aufgepackt. Wieder einmal zu einer einzigen riesigen Masse vereint, zogen die Kimbern in westlicher Richtung stromaufwärts, am Nordufer des Po entlang. Ihr Ziel waren die stärker unter römischem Einfluß stehenden Gebiete in der Nähe der großen Stadt Placentia.
In Placentia lagerte die römische Armee mit vierundfünfzigtausend Mann. Marius hatte zwei seiner Legionen an Manius Aquilius übergeben, der Anfang des Jahres nach Sizilien gegangen war, um mit dem Sklavenkönig Athenion fertig zu werden. Die Niederlage der Teutonen war so eindeutig gewesen, daß es nicht einmal nötig schien, eine Garnison zur Bewachung von Gallia Transalpina zurückzulassen.
Die Situation hatte gewisse Parallelen zur Befehlslage in Arausio: Wieder war der oberste Feldherr ein homo novus , sein Stellvertreter ein Mann aus dem hohen Adel, aber ansonsten hatten Gaius Marius und Gnaeus Mallius Maximus nichts gemein. Der homo novus Marius war nicht der Mann, der sich von einem Adligen wie Catulus Caesar auch nur die geringsten Schwierigkeiten machen ließ. Catulus Caesar bekam kurz und bündig mitgeteilt, was er zu tun und wohin er zu gehen habe und warum er dies zu tun und dorthin zu gehen habe. Von ihm wurde nichts als Gehorsam erwartet, und er wußte genau, was passieren würde, wenn er nicht gehorchte. Gaius Marius hatte sich nämlich die Zeit genommen, ihm das mitzuteilen, auf sehr direkte Art.
»Du mußt dir das wie folgt vorstellen: Ich habe für dich eine Linie gezogen, auf der du dich bewegen kannst, Quintus Lutatius. Wenn du diese Linie auch nur mit einem Zeh übertrittst, bist du so schnell zurück in Rom, daß du dich fragen wirst, wie du dorthin gekommen bist«, sagte Marius. »Mit mir macht keiner solche Mätzchen wie Caepio! Ich hätte ohnehin lieber Lucius Cornelius in deiner Position, und er wird sie bekommen, wenn du auch nur daran zu denken wagst, deine Linie zu überschreiten. Kapiert?«
»Ich bin kein Untergebener, und ich verwahre mich entschieden dagegen, wie ein solcher behandelt zu werden«, sagte Catulus Caesar mit hochroten Wangen.
»Hör mal, Quintus Lutatius, mir ist es vollkommen egal, wogegen du dich verwahrst!« sagte Marius betont geduldig. »Mich interessiert nur, was du tust. Und du tust, was ich dir sage, sonst nichts.«
»Ich werde sicherlich ohne Schwierigkeiten deinen Befehlen Folge leisten können, Gaius Marius. Sie sind ebenso bestimmt wie präzise«, erwiderte Catulus Caesar und unterdrückte mühsam seinen Zorn. »Aber ich wiederhole nochmals, es gibt keinen Grund, daß du mit mir sprichst, als wäre ich ein gewöhnlicher Zenturio! Ich bin der stellvertretende Befehlshaber.«
Marius grinste hämisch. »Ich kann dich auch nicht leiden, Quintus Lutatius. Du bist eine dieser mittelmäßigen Figuren aus dem Adel, die meinen, sie hätten ein göttliches Recht darauf, Rom zu regieren. Von dir persönlich glaube ich, daß du nicht einmal eine Weinstube führen könntest, und wenn sie zwischen einem Bordell und einem Männerverein läge! Also, du und ich werden auf folgende Art zusammenarbeiten: Ich gebe die Befehle, und du befolgst sie aufs Wort.«
»Nur unter Protest«, sagte Catulus Caesar.
»Meinetwegen unter Protest, aber du befolgst sie.« Und das war Marius’ letztes
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