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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Leute, die jetzt kommen, sind keine geübten Zuhörer; sie wissen nichts von Rhetorik. Es ist ihnen egal, wie er seinen kleinen Finger spreizt, wie er seine Gangart variiert. Sie spüren seine Leidenschaft. Ja, sie stehen einfach da und starren ihn mit offenen Mündern an. Er reißt sie mit, und zum Schluß jubeln sie ihm laut zu.«
    »Wir müssen ihn im Auge behalten«, sagte Sulla. Er blickte Marius sehr ernst an. »Warum hast du es getan?«
    Marius konnte nicht ausweichen. Er antwortete sofort. »Ich hatte keine andere Wahl, Lucius Cornelius. Die Wahrheit ist, daß ich nicht - wie soll ich sagen - verschlagen genug bin. Ich kann nicht um so viele Ecken denken, wie ich müßte, wenn ich Männern wie Scaurus zwei Schritte voraus sein wollte. Er hat mich so sauber eingewickelt, wie man es sich nur wünschen kann. Das gebe ich offen zu.«
    »Aber in gewisser Weise hast du doch den Plan gerettet«, versuchte Sulla ihn zu trösten. »Das zweite Ackergesetz ist immer noch auf der Tagesordnung, und ich glaube nicht, daß die Versammlung der Plebs - oder in dem Fall die Volksversammlung - das Gesetz annullieren wird. Zumindest sagte man mir, daß die Dinge so stünden.«
    »Stimmt«, sagte Marius, aber er wirkte nicht sehr getröstet. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und seufzte. »Saturninus ist der Sieger, Lucius Cornelius, nicht ich. Seine Empörung hält die Plebs bei der Stange. Ich habe die Plebs verloren.« Er fiel in sich zusammen, streckte hilfesuchend die Hände aus. »Wie soll ich bloß das restliche Jahr durchstehen? Durch den Hagel von Buhrufen und Pfiffen zu gehen, die um die Rednerbühne erschallen, wenn Saturninus spricht, ist eine Qual. Das Senatsgebäude würde ich am liebsten gar nicht mehr betreten. Ich hasse das aalglatte Lächeln auf Scaurus’ düsterem Gesicht, ich hasse das unerträglich süffisante Grinsen auf dem Kamelgesicht von Catulus - ich tauge nicht für die politische Bühne, das ist die Wahrheit, die mir langsam immer deutlicher wird.«
    »Aber du hast den cursus honorum eingeschlagen, Gaius Marius!« sagte Sulla. »Du warst einer der großen Volkstribunen! Du kanntest die politische Bühne und hast sie geliebt, sonst wärst du nie ein großer Volkstribun geworden.«
    Marius zuckte mit den Achseln. »Ach, damals war ich jung, Lucius Cornelius. Und konnte scharf denken. Aber ein Politiker durch und durch war ich nie.«
    »Dann überläßt du das Feld einem Wolf mit gebleckten Zähnen wie Saturninus? Das sieht dem Gaius Marius, den ich kenne, nicht ähnlich«, sagte Sulla.
    »Ich bin nicht der Gaius Marius, den du kennst.« Marius lächelte schwach. »Der neue Gaius Marius ist müde, sehr müde. Er ist mir genauso fremd wie dir, glaub mir!«
    »Dann ruhe dich doch diesen Sommer irgendwo weit weg aus, bitte!«
    »Das habe ich vor«, sagte Marius, »sobald du die Bande mit Aelia geknüpft hast.«
    Sulla stutzte, dann lachte er. »Bei den Göttern, das habe ich ganz vergessen!« Er erhob sich, ein schöner Mann in der Blüte seiner Kraft. »Ich gehe besser nach Hause und bitte um eine Audienz bei unserer gemeinsamen Schwiegermutter, oder? Zweifelsohne denkt sie schon die ganze Zeit darüber nach«, bei diesen Worten überlief Sulla ein Zittern, »wann sie mich endlich los wird.«
    Marius hatte das Zittern nicht bemerkt, er konzentrierte sich auf Sullas Worte. »Ja, sie ist besorgt. Ich habe ihr eine nette kleine Villa in Cumae gekauft, nicht weit von unserer.«
    »Dann eile ich nach Hause, so schnell wie Merkur!« Sulla streckte die Hand aus. »Paß auf dich auf, Gaius Marius. Wenn Aelia noch will, werde ich schnell die Bande knüpfen.« Etwas fiel ihm noch ein, er lachte. »Du hast ja so recht! Catulus Caesar sieht wirklich aus wie ein Kamel! In Lebensgröße!«
    Julia wartete vor der Tür des Arbeitszimmers, um Sulla abzufangen, bevor er ging. »Was meinst du?« fragte sie sorgenvoll.
    »Er kommt wieder in Ordnung, kleine Schwester. Sie haben ihn geschlagen, und er leidet. Bring ihn in die Campania, laß ihn im Meer baden und in Rosen schwelgen.«
    »Das werde ich, sobald du verheiratet bist.«
    »Ich bin ja schon unterwegs!« rief er aus und hob kapitulierend die Hände.
    Julia seufzte. »Eines läßt sich nicht leugnen, Lucius Cornelius, nämlich daß ein halbes Jahr auf dem Forum Gaius Marius mehr Kraft gekostet hat als zehn Jahre auf dem Schlachtfeld mit seinen Legionen.«

    Es schien, als ob alle eine Pause bräuchten, denn als Marius nach Cumae abgereist war, verfiel das

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