MoR 01 - Die Macht und die Liebe
denselben Weg einschlagen - und einen Senatsbeschluß zur Verteidigung der Republik fassen.«
»Wir werden abstimmen«, sagte Marius. »Alle, die dafür sind, stellen sich auf der linken Seite auf, alle, die dagegen sind, gehen nach rechts.« Er selbst stellte sich als erster auf die linke Seite.
Niemand stand auf der rechten Seite. Der Senat beschloß sein zweites Senatus consultum de re publica defendenda ohne Gegenstimmen, anders als beim ersten Mal.
»Gaius Marius«, sagte Scaurus, »die Mitglieder dieses Hauses haben mich ermächtigt, dich zu beauftragen, daß du als erster Konsul von Rom unseren Staat mit allen dir notwendig erscheinenden Mitteln verteidigst. Außerdem erkläre ich hiermit im Namen dieses Hauses, daß jedes Veto der Volkstribunen gegen eine Maßnahme von dir ungültig ist und daß nichts, was du tust oder befiehlst, dir später vor einem Gericht vorgeworfen werden kann. Das gilt auch für den zweiten Konsul, Lucius Valerius Flaccus, und alle Prätoren, soweit sie unter deinem Befehl stehen. Außerdem bist du, Gaius Marius, ermächtigt, dir Helfer aus dem Kreis der Mitglieder dieses Hauses zu wählen. Solange diese unter deinem Befehl stehen, gelten auch für sie die bereits genannten Ausnahmeregelungen.« Scaurus mußte daran denken, wie wohl Metellus Numidicus reagiert hätte, wenn er miterlebt hätte, wie der Senatsvorsitzende Scaurus Gaius Marius praktisch zum Diktator ernannte. Scaurus warf Marius einen bösen Blick zu, ein Grinsen konnte er sich gerade noch verkneifen. Er holte tief Luft und schrie so laut er konnte: »Lang lebe Rom!«
»Ach, na so was!« sagte Publius Rutilius Rufus.
Marius hatte weder Zeit noch Geduld, über geistreiche Bemerkungen nachzudenken. Mit knapper und ruhiger Stimme bestimmte er Lucius Cornelius Sulla zu seinem Stellvertreter und befahl, das Waffenlager im Keller des Tempels der Bellona zu öffnen und alle Unbewaffneten mit Schwertern und Schilden auszurüsten. Wer Waffen und Rüstung besaß, sollte sofort nach Hause gehen und sie holen, solange man sich noch frei in den Straßen bewegen konnte.
Sulla kümmerte sich vor allem um seine jungen Freunde. Er schickte sie in alle Himmelsrichtungen, vor allem den jungen Caepio und Metellus das Ferkel, deren Eifer gar nicht zu bremsen war. Die erste Ungläubigkeit machte einer Empörung Platz, die mehr war als bloße Wut: Ein Senator von Rom versuchte, mit Hilfe der Macht des Pöbels, König zu werden - eine Ungeheuerlichkeit! Politische Unterschiede waren vergessen, Fraktionen lösten sich auf, ultrakonservative Senatoren standen Schulter an Schulter mit den fortschrittlichsten Anhängern von Marius, geeint im Kampf gegen den geifernden Wolf auf dem Forum Romanum.
Selbst als Sulla die Männer zu organisieren versuchte, die um ihn herumschwirrten und wild fluchten, während sie darauf warteten, daß ihnen ihre Waffen von zu Hause gebracht wurden, waren seine Gedanken bei ihr. Nicht bei Delmatica, bei Aurelia. Er schickte zwei Liktoren zu ihrer insula mit der Anweisung, sie solle sich im Hause einschließen, und zwei weitere zu Lucius Decumius mit der Nachricht, weder er noch seine Kumpane aus dem Kreuzwegeverein sollten sich in den nächsten Tagen auf dem Forum Romanum blicken lassen. Wie er Lucius Decumius kannte, würden sie ohnehin nicht auf dem Forum sein. Während der übrige Pöbel Roms auf dem Forum randalierte, herumbrüllte und unschuldige Passanten zusammenschlug, lud das Gebiet, das der Pöbel normalerweise unsicher machte, zu ein oder zwei Überfällen geradezu ein. So sah das zweifellos Lucius Decumius. Trotzdem, die Botschaft konnte nicht schaden. Vor allem Aurelia mußte gewarnt werden.
Zwei Stunden später waren alle bereit. Vor dem Tempel der Bellona lag ein großer, offener Hof, der als Feindesland bezeichnet wurde. In halber Höhe der Treppen, die zum Tempel führten, stand ein etwa vier Fuß hoher, quadratischer Felsblock. Wenn einem ausländischen Feind ein gerechter und rechtmäßiger Krieg erklärt wurde - und gab es denn andere Kriege? -, rief man einen der Fetialen. Die Aufgabe dieser Priester war es, im Auftrag des Staates Bündnisse zu schließen und Kriege zu erklären. Der Priester schleuderte von den Tempeltreppen aus einen Speer genau über die Spitze des uralten Felsblockes in den Boden des Feindeslandes. Niemand wußte, wie dieses Ritual entstanden war, aber es gehörte zur Tradition, und deshalb hielt man daran fest. Doch heute gab es keinen ausländischen Feind, dem man den
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