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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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soll ich also vorgehen, Senatsvorsitzender? Soll ich tun, was angebracht scheint oder was richtig wäre?«
    Scaurus zuckte die Schultern. »Tu, was uns angebracht scheint, Gaius Marius. Das weißt du genausogut wie ich. Sonst treibst du einen Keil so tief in das Herz von Rom, daß die ganze Welt zusammen mit unserer Stadt daran zugrunde gehen könnte.«
    Sie traten gemeinsam hinaus und blieben auf den Senatstreppen stehen. Die Gesichter in ihrer unmittelbaren Nähe konnten sie sehen, dahinter standen ein paar Dutzend Menschen, das Forum Romanum lag menschenleer, sauber und verschlafen in der Morgensonne.
    »Hiermit verkünde ich eine Generalamnestie!« schrie Gaius Marius, so laut er konnte. »Geht nach Hause, ihr jungen Männer«, sagte er zu dem jungen Caepio und seinen Männern. »Ihr seid wie alle anderen von der Strafverfolgung befreit.« Dann wandte er sich wieder der größeren Gruppe seiner Zuhörer zu. »Wo sind die Volkstribunen? - Sie sind hier? Gut! Dann beruft eure Versammlung ein, heute ist die große Masse nicht hier. Als erstes müssen zwei weitere Volkstribunen gewählt werden. Lucius Appuleius Saturninus und Lucius Equitius sind tot. Du, oberster Liktor, hole deine Kameraden und die Staatssklaven, ihr räumt in der curia hostilia auf. Übergebt die Leichen den Angehörigen, damit sie anständig begraben werden können. Sie waren für ihre Verbrechen nicht verurteilt, deshalb sind sie immer noch römische Bürger von vornehmer Abkunft.«
    Marius schritt die Treppen hinunter und bestieg die rostra , denn als erster Konsul leitete er auch die Feierlichkeiten zur Amtseinführung der neuen Volkstribunen. Wäre er aus patrizischem Geschlecht gewesen, hätte sein Mitkonsul das tun müssen. Mindestens einer der Konsuln mußte immer Plebejer sein, damit er Zugang zum concilium plebis hatte.
    Und dann geschah es. Die Nachrichtenübermittlung von Mund zu Mund mußte wie immer gut funktioniert haben, mit der Geschwindigkeit des Lichts hatten sich die Ereignisse herumgesprochen. Das Forum füllte sich mit Menschen, Tausende und Abertausende strömten herbei - vom Esquilin, Caelius, Viminal, Quirinal, Palatin, Aventin, aus der Subura. Dieselbe Menschenmenge, das erkannte Gaius Marius auf den ersten Blick, die sich bei der Wahl der Volkstribunen auf dem Forum gedrängt hatte.
    Jetzt, wo das Schlimmste vorüber war, kehrte Frieden in Marius’ Herz ein. Er blickte über das Meer von Menschen und sah, was Lucius Appuleius Saturninus gesehen hatte: eine Quelle der Macht, noch ungenutzt, ohne die Arglist und Tücke, die mit Erfahrung und Bildung kamen. Die Menschen glaubten bereitwillig jedem leidenschaftlichen Demagogen, sie ließen sich von jedem Redner mit Charisma überzeugen, sie folgten jedem Führer wie eine Herde. Das ist nichts für mich, dachte Gaius Marius. Erster Mann in Rom zu sein und dabei von den Launen der Masse abhängig, das ist kein Triumph. Ich war gerne der Erste Mann in Rom, im alten Stil, auf dem harten Weg: im ständigen Kampf gegen die Vorurteile und die Ungeheuerlichkeiten, die mir auf dem cursus honorum begegneten.
    Doch einmal, schloß Gaius Marius seine Gedanken schadenfroh, möchte ich dem Senatsvorsitzenden Scaurus, Catulus Caesar, dem pontifex maximus Ahenobarbus und dem Rest der boni noch zeigen, was sie erwartet hätte, wenn ich Saturninus’ Weg gewählt hätte: Dann lägen nämlich sie jetzt alle in der curia hostilia unter Dachziegeln begraben. Mit einer Hand würde ich Rom regieren! Ich bin im Vergleich zu Saturninus so wie Jupiter im Vergleich zu Cupido.
    Er trat an den Rand der Rednerbühne, näher zum unteren Forum als zum Versammlungsplatz der Komitien. Mit ausgebreiteten Armen schien er die Menge umarmen zu wollen wie ein Vater seine Kinder. »Volk von Rom, geht zurück in eure Häuser!« donnerte er. »Die Krise ist vorüber. Rom ist gerettet. Und ich, Gaius Marius, kann euch mit großer Freude ankündigen, daß gestern eine Flotte von Getreideschiffen im Hafen von Ostia eingelaufen ist. Die Lastkähne kommen heute flußaufwärts, ab morgen wird es Korn aus den staatlichen Speichern auf dem Aventin geben, zum Preis von einem Sesterz pro Scheffel, zu dem Preis, den Lucius Appuleius Saturninus’ Getreidegesetz festgelegt hat. Nun, Lucius Appuleius ist tot, sein Gesetz ist ungültig. Ich, Gaius Marius, der Konsul von Rom, gebe euch das Korn! Der billige Preis wird so lange gelten, wie ich noch im Amt bin, das heißt noch neunzehn Tage. Danach müssen die neuen Magistrate

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