MoR 02 - Eine Krone aus Gras
war und ihre Hand hielt. Für sie war es ein gnädiges Ende, nicht jedoch für Drusus, der gern noch ein paar Worte der Liebe, des Trostes oder auch nur des Erkennens von ihr gehört hätte. All die Jahre des Wartens auf das langersehnte Kind waren vergeblich gewesen. Seine Frau verblaßte zu einem blutleeren, weißen Abbild ihrer selbst in einem Bett, das von ihrem Lebensblut getränkt war. Als sie starb, war das Kind noch nicht einmal in den Geburtskanal eingetreten. Die Ärzte und Hebammen beschworen Drusus, das Kind aus seiner Frau herausschneiden zu dürfen. Er aber weigerte sich.
»Laßt sie mit ihrem Kind in den Tod gehen«, sagte er. »Laßt ihr diesen Trost. Wenn das Kind am Leben bliebe, könnte ich es doch nicht lieben.«
Drusus war nur mehr ein Schatten seiner selbst, als er sich zur Curia Hostilia schleppte und seinen Platz in der mittleren Sitzreihe einnahm. Sein Priesteramt verschaffte ihm eine höhere Stellung innerhalb des Senats, als ihm eigentlich von seinem Status als Senator zukam. Sein Sklave stellte den Klappstuhl auf und half seinem Herrn, sich zu setzen. Die Senatoren in seiner Umgebung murmelten Beileidsbekundungen, und er nickte unaufhörlich, das Gesicht fast so weiß, wie das seiner Frau gewesen war. Dann sah er zu seiner Überraschung Caepio in der letzten Reihe gegenüber und wurde noch bleicher, als er es schon war. Caepio! Er hatte die Frechheit besessen, Drusus auf die Nachricht vom Tod seiner Schwester mitteilen zu lassen, daß er leider sofort nach dieser Senatssitzung die Stadt verlassen müsse und daher nicht am Begräbnis seiner Schwester teilnehmen könne.
Drusus hatte das Geschehen von seinem Platz aus gut im Blick, denn er saß am Ende seiner Reihe auf der linken Seite der Curia, in unmittelbarer Nähe des großen Bronzeportals, das vor Jahrhunderten König Tullus Hostilius erbaut hatte. Das Portal stand heute auf Befehl der Konsuln offen, denn die Sitzung sollte öffentlich stattfinden. Niemand außer den Senatoren und jeweils einem Diener durfte das Gebäude betreten, aber jedermann durfte sich vor der Tür aufhalten und den Verhandlungen zuhören.
Auf der dem Portal gegenüberliegenden Seite des Raumes, flankiert von den je drei Sitzreihen, auf denen die Klappstühle der Senatoren standen, befand sich das erhöhte Podium der kurulischen Magistrate, und davor stand die lange hölzerne Sitzbank der zehn Volkstribunen. Die herrlich verzierten elfenbeinernen Stühle der beiden Konsuln standen am vorderen Rand der Bühne, die Stühle für die sechs Prätoren dahinter und die elfenbeinernen kurulischen Stühle der beiden kurulischen Ädilen wiederum dahinter. Diejenigen Senatoren, die aufgrund langjähriger Senatszugehörigkeit oder auch nur deshalb, weil sie kurulische Ämter bekleidet hatten, das Rederecht hatten, saßen zu beiden Seiten in der ersten Reihe. Die mittleren Ränge waren den Inhabern von Priester- oder Augurenämtern, ehemaligen Volkstribunen oder Priestern niederer Kollegien vorbehalten. Ganz oben saßen die pedarii — die Hinterbänkler, die kein Rederecht im Senat hatten und nur abstimmen durften.
Nachdem die Gebete gesprochen, die Opfergaben dargebracht und die Omen zur allgemeinen Zufriedenheit ausgefallen waren, erhob sich der erste der beiden Konsuln, Lucius Licinius Crassus Orator.
»Princeps Senatus, Pontifex Maximus, meine Kollegen in den kurulischen Ämtern, Mitglieder dieses hohen Hauses!« begann er.
Er hielt eine Pergamentrolle in der Linken. »Wir haben bereits des längeren über die unrechtmäßige Einschreibung von Italikern in die römischen Bürgerlisten während des Zensuses beraten. Obwohl unsere ehrenwerten Kollegen, die beiden Zensoren Marcus Antonius und Lucius Valerius, durchaus davon ausgegangen waren, mehrere tausend neue Namen in die Listen aufnehmen zu müssen, wunderten sie sich doch über die vielen tausend neuen Bürger in den Listen. Denn so viele neue Namen tauchten plötzlich auf. Die in ganz Italien durchgeführte Volkszählung hat dazu geführt, daß auf einmal unvorhergesehen viele Männer das römische Bürgerrecht für sich in Anspruch nehmen. Uns liegen jedoch Zeugenaussagen vor, denen zufolge es sich bei diesen Bürgern in der Mehrzahl um italische Bundesgenossen handelt, die keinerlei Anspruch auf das römische Bürgerrecht haben. Wir haben ebenfalls Beweise dafür, daß die Anführer der italischen Bundesgenossen sich verschworen haben, ihre Mitbürger massenhaft in die römischen Bürgerlisten eintragen zu
Weitere Kostenlose Bücher