MoR 02 - Eine Krone aus Gras
und keinen einzigen Sklaven sein eigen nennen, er gehört doch dem Volk an, das die Welt regiert. Das römische Bürgerrecht erhöht ihn über alle anderen. Und wenn er in Ermangelung eines Sklaven auch niedere Arbeiten selbst verrichten muß, kann er doch stolz von sich sagen: >Ich bin ein Römer, ich bin mehr wert als der Rest der Menschheit!<«
Vor der Bank der Tribunen angekommen, drehte er sich um und sprach in Richtung des geöffneten Portals: »Hier in Italien leben wir Seite an Seite mit Männern und Frauen, die blutsmäßig mit uns verwandt sind, ja in vielen Fällen sogar demselben Stamm angehören. Männer und Frauen, die uns seit mindestens vierhundert Jahren Truppen stellen und Tribut zahlen und uns auf unseren Feldzügen mit Geld unterstützen. O ja, einige haben sich von Zeit zu Zeit gegen uns erhoben oder haben unsere Feinde unterstützt oder sich unserer Politik widersetzt. Aber für diese Verbrechen sind sie bereits bestraft worden! Das römische Recht verbietet es, sie nochmals dafür zu bestrafen. Können wir ihnen einen Vorwurf daraus machen, daß sie Römer sein wollen? Denn das ist die Frage. Es geht nicht darum, warum sie das wollen oder was der Grund der vielen falschen Eintragungen in die Bürgerlisten ist. Nur darum geht es: Können wir ihnen einen Vorwurf machen, daß sie Römer sein wollen?«
»Ja!« schrie Quintus Servilius Caepio. »Ja! Sie sind unsere Untertanen! Unsere Untertanen, nicht unseresgleichen!«
»Quintus Servilius, ich rufe dich zur Ordnung!« donnerte Crassus Orator. »Setz dich und sei still, andernfalls fordere ich dich auf, die Sitzung zu verlassen!«
Gaius Marius drehte sich würdevoll um und blickte in die Runde. Ein bitteres Grinsen verzerrte sein ohnehin schon entstelltes Gesicht. »Ihr glaubt wohl, ihr wißt, was ich jetzt sagen werde, oder?« Er lachte laut auf. »Gaius Marius, der Italiker, denkt ihr, wird vorschlagen, die lex Licinia Mucia auszusetzen und die Zehntausende falscher Bürger einfach auf den Bürgerlisten stehen zu lassen.« Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Nun, ihr irrt euch, eingeschriebene Väter! Das tue ich nicht. Wie ihr bin auch ich der Meinung, daß unser Bürgerrecht nicht dadurch diskreditiert werden darf, daß wir es Männern zugestehen, die es sich auf unrechtmäßige Weise angeeignet haben. Ich plädiere vielmehr dafür, daß die vorgesehenen Sondergerichte in Aktion treten, wie von ihren hervorragenden Initiatoren geplant. Sie sollen jedoch nur eine begrenzte Aufgabe wahrnehmen und diese keinesfalls überschreiten. Sämtliche Falschbürger müssen aus den Bürgerlisten gestrichen und aus den Tribus ausgewiesen werden. Aber dann muß Schluß sein! Denn ich warne euch, eingeschriebene Väter und Bürger, die ihr draußen vor den Türen zuhört: Wenn wir die Männer, die sich dieses Vergehens schuldig gemacht haben, mit Strafen belegen, wenn wir sie schlagen, aus ihrer Heimat vertreiben und ihr Vermögen einziehen und wenn wir mit ihnen auch ihre Nachkommen strafen, säen wir Haß und Rachegelüste, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat. Ihr werdet Tod, Blut, Armut und Haß für die nächsten Jahrtausende ernten! Wir dürfen nicht gutheißen, was die Italiker versucht haben. Aber wir dürfen sie nicht dafür bestrafen, daß sie es versucht haben!«
Sehr gut, dachte Drusus, sehr gut, Gaius Marius, und er applaudierte. Auch einige andere spendeten zaghaft Beifall. Aber die meisten blieben ruhig, und die Bürger, die draußen vor der Tür auf dem Forum mitgehört hatten, protestierten gegen soviel Milde.
Marcus Aemilius Scaurus erhob sich. »Habe ich das Wort?«
»Du hast es, Senatsvorsitzender«, nickte Crassus Orator.
Scaurus und Gaius Marius waren gleich alt, aber Scaurus hatte sich nicht die jugendliche Frische des Marius bewahrt, obwohl dieser noch durch seinen Schlaganfall gezeichnet war. Die Linien, die Scaurus’ Gesicht durchzogen, hatten sich tief in das Fleisch eingegraben, und sogar sein kahler Schädel war von Falten zerfurcht. Nur seine wunderbaren grünen Augen waren jung und scharf und funkelten lebendig. Und sie verrieten seine Intelligenz. Sein vielbewunderter und allseits bekannter Sinn für Humor war heute nicht einmal seinen Mundwinkeln anzumerken: Sie hingen schlaff herunter. Auch er trat zum offenen Portal, wandte sich aber nicht an die versammelten Senatoren, sondern an die Menge draußen.
»Eingeschriebene Väter des Senats von Rom! Ich bin euer Vorsitzender, der, wie es sich gehört, von den
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