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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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saßen auf einer Anhöhe über dem Schlachtfeld, dirigierten mit den Händen, gaben Befehle und kauten gedankenverloren an einem Niednagel, während ihre geschäftigen Augen alles verfolgten, was sich unter ihnen abspielte. Die Feldherren schienen instinktiv zu merken, wann eine Front wankte oder zurückwich, wohin der Feind seinen Hauptangriff richten würde — Feldherren wußten bereits bei ihrer Geburt alles über Flanken, Manöver, Belagerungen, Artillerie, Entlastungsangriffe, Formationen, Aufmarsch und Aufstellung. Das waren Kenntnisse, über die Mithridates nicht verfügte, für die er kein Gefühl und kein Talent hatte und die ihn auch nicht interessierten.
    Während der Blick des Königs gedankenverloren über seine Höflinge glitt, wurde der König selbst von den Höflingen mit größter Aufmerksamkeit beobachtet — aufmerksamer, als ein dahingleitender Falke die Maus im Gras beobachtet, wobei sich die Höflinge nicht als Falken, sondern als Mäuse empfanden. Dort saß der König auf seinem Stuhl aus massivem Gold, der mit einer Million Perlen und Rubinen besetzt war. Da die Versammlung einen Kriegsrat darstellte, trug der König ein Löwenfell und ein geschmeidiges Kettenhemd, an dem jedes einzelne Kettenglied vergoldet war und dessen Glitzern die Höflinge ängstigte. Niemand hätte gewagt, etwas gegen den König zu sagen, und niemand wußte, was der König von ihm dachte. Mithridates war eine komplizierte Mischung aus Feigling und Held, Angeber und Denker, Retter und Zerstörer, und er beherrschte seine Untertanen vollkommen. In Rom hätte ihm niemand geglaubt, und alle hätten ihn ausgelacht. In Sinope glaubten ihm alle, und keiner lachte ihn aus.
    Endlich begann der König zu sprechen. »Wer auch immer dieser Lucius Cornelius Sulla sein mag — er wurde von Rom gesandt, und obwohl er ein fremdes Land bewachen soll, hat man ihm kein Heer gegeben. Er soll Truppen befehligen, die er nicht kennt. Ich muß deshalb annehmen, daß dieser Lucius Cornelius Sulla ein ernstzunehmender Gegner ist.« Er sah Gordios an. »Wie viele Soldaten habe ich dir im Herbst in dein Königreich Kappadokien geschickt?«
    »Fünfzigtausend, großer König.«
    »Im Frühjahr werde ich selbst mit weiteren fünfzigtausend Soldaten nach Eusebeia Mazaka kommen. Neoptolemos wird mich als mein Feldherr begleiten. Archelaos, du wirst mit fünfzigtausend Mann nach Galatien marschieren und dort an der Westgrenze Stellung beziehen, für den Fall, daß die Römer tatsächlich an zwei Fronten in Pontos einfallen wollen. Die Königin wird das Land von Amaseia aus regieren, aber ihre Söhne werden hier in Sinope bleiben — als Geiseln, die sicherstellen, daß sie sich korrekt verhält. Falls sie einen Verrat planen sollte, werden all ihre Söhne augenblicklich hingerichtet.«
    »Meine Tochter denkt gar nicht an solche Dinge!« protestierte Gordios entsetzt. Er sorgte sich, daß eine der Nebenfrauen des Königs einen Verrat vortäuschen und die Schuld seiner Tochter zuschieben könnte. Dann wären alle seine Enkel tot, bevor die Unschuld der Königin entdeckt würde.
    »Ich habe keinen Grund, sie zu verdächtigen«, stellte der König fest. »Das ist lediglich eine Vorsichtsmaßnahme, die mir in solchen Situationen angebracht erscheint. Wenn ich mich außer Landes befinde, werden die Kinder aller meiner Frauen an verschiedene Orte gebracht und dort als Garantie für die Loyalität ihrer Mütter festgehalten. Frauen sind seltsame Geschöpfe«, fuhr der König nachdenklich fort. »Sie scheinen das Leben ihrer Kinder immer höher einzuschätzen als ihr eigenes.«
    »Du solltest dich besser gegen die Frauen vorsehen, die anders denken«, warf eine dünne und weinerliche Stimme ein, die einem dicken und weinerlichen Mann gehörte.
    »Keine Sorge, Sokrates, genau das tue ich.« Mithridates grinste. Er hatte eine Vorliebe für diesen abstoßenden Gefolgsmann aus Bithynien entwickelt, wenn auch nur aus einem Grund: Mithridates sagte sich stolz, daß keiner seiner Brüder fünfzig Jahre alt geworden wäre, wenn er so abstoßend wie Sokrates gewesen wäre. Daß keiner seiner Brüder, abstoßend oder nicht, auch nur den zwanzigsten Geburtstag erreicht hatte, bereitete dem König kein Kopfzerbrechen. Die Bithynier waren ein verweichlichtes Volk. Wenn Rom und der römische Schutz nicht gewesen wären, hätte Pontos Bithynien schon vor einer Generation verschluckt. Rom, Rom, Rom! Immer stand Rom im Hintergrund. Warum konnte Rom nicht in einen furchtbaren

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