MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Sulla, trage ich einen Hut mit breiter Krempe. Gaius Marius hat mir das vor vielen Jahren geraten, als wir zum ersten Mal in Africa gegen König Jugurtha von Numidien kämpften. Trag ihn und kümmere dich nicht um den Spott der anderen, sagte Marius damals. Nach einer Weile fällt der Hut kaum noch auf. Ich habe seinen Rat befolgt, weil meine Haut so hell ist, daß ich mir einen Sonnenbrand nach dem anderen holen würde. Als ich mir in Numidien einen Namen gemacht hatte, wurde mein Hut sogar berühmt.«
»In Rom habe ich dich nie einen Hut tragen sehen«, sagte sein Sohn.
»In Rom setze ich mich so wenig wie möglich der Sonne aus. Deshalb habe ich letztes Jahr über meinem Platz auf der Prätorentribüne einen Sonnenschutz errichten lassen.«
Eine Weile schwiegen beide. Die enge Gasse mündete plötzlich in einen riesigen, unregelmäßigen Platz, der von vielen Bäumen beschattet wurde und auf dem zahlreiche Buden und Läden standen.
»Vater?« fragte eine leise Stimme.
Sulla sah seinen Sohn an. Überrascht stellte er fest, daß dieser nur wenig kleiner war als er selbst. Das Blut der Familie Caesar schien sich durchzusetzen, der junge Sulla würde einmal ein hochgewachsener Mann werden.
»Ja, mein Junge?« fragte er.
»Kann ich bitte auch einen Hut bekommen?«
König Mithridates war sehr erstaunt, als er erfuhr, ein römischer Statthalter sei nach Kilikien entsandt worden und habe begonnen, unter den Einheimischen ein Heer auszuheben und auszubilden. Er starrte Gordios an, den neuen König von Kappadokien, der ihm die Nachricht überbracht hatte.
»Wer ist denn dieser Lucius Cornelius Sulla?«
»Wir wissen fast gar nichts über ihn, großer König. Wir wissen nur, daß er letztes Jahr oberster Magistrat der Stadt Rom war und daß er unter mehreren berühmten römischen Feldherren als Legat gedient hat — unter Gaius Marius in Africa gegen König Jugurtha, unter Quintus Lutatius Catulus Caesar im italischen Gallien gegen die Germanen und unter Titus Didius in Spanien gegen die dort lebenden Wilden.« Gleichmütig leierte Gordios diese Informationen herunter. Es war klar, daß ihm die Namen außer Gaius Marius wenig oder nichts bedeuteten.
Auch Mithridates konnte mit den Namen wenig oder nichts anfangen. Wieder einmal bedauerte er, daß seine geographischen und geschichtlichen Kenntnisse so schlecht waren.
Archelaos kam dem König zu Hilfe. »Dieser Lucius Cornelius Sulla ist kein Gaius Marius«, sagte er nachdenklich, »aber er ist ein sehr erfahrener Mann. Wir sollten ihn nicht unterschätzen, nur weil wir ihn noch nicht kennen. Seit er Senator wurde, hat er die meiste Zeit im römischen Heer verbracht. Ich glaube allerdings nicht, daß er schon einmal den Oberbefehl in einem Feldzug hatte.«
»Er heißt Cornelius«, sagte der König, »aber ist er ein Scipio? Und warum nennt er sich >Sulla«
»Mit Scipio hat er nichts zu tun, allmächtiger König«, erklärte Archelaos. »Aber Sulla ist ein patrizischer Cornelier, er ist kein Niemand, kein homo novus, wie die Römer sagen. Und er soll schwierig sein.«
»Schwierig?«
Archelaos schluckte. Weiter gingen seine Kenntnisse nicht, und er hatte keine Ahnung, weshalb Sulla als »schwierig« galt. Deshalb begann er zu raten. »Schwierig bei Verhandlungen, großer König. Nicht bereit, eine andere Meinung als seine eigene anzuerkennen.«
Sie befanden sich in Sinope, das damals die Lieblingsstadt des Königs war, vor allem im Winter. Die letzten Jahren waren relativ friedlich verlaufen, es hatten weder Höflinge noch Verwandte des Königs sterben müssen, und Gordios’ Tochter Nysa hatte sich als Gemahlin zur vollen Zufriedenheit des Königs entwickelt, so daß ihr Vater nach der Intervention des Tigranes auf den Thron von Kappadokien gesetzt worden war. Auch die königlichen Söhne gediehen, und in den zu Pontos gehörenden Ländern an der östlichen und nördlichen Küste des Schwarzen Meeres herrschte Wohlstand.
Aber die Erinnerung an Gaius Marius wurde immer schwächer; der König von Pontos blickte bereits wieder nach Süden und Westen. Sein Plan, Tigranes zu benutzen, um in Kappadokien einzufallen, war erfolgreich gewesen, und Gordios war dort noch immer König, daran hatte auch der Besuch des Scaurus nichts geändert. Scaurus’ Besuch hatte Rom nur eines eingebracht: den Rückzug des armenischen Heeres aus Kappadokien — aber das hatte Mithridates ohnehin beabsichtigt. Jetzt schien endlich die Zeit reif, daß ihm auch Bithynien zufiel, denn
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