MoR 02 - Eine Krone aus Gras
ausbessert, daß er sie noch einmal benutzen muß.«
Diese Bemerkung kam beim König an. Er riß die Augen weit auf. »Nun, dann steht ihm eine Überraschung bevor! Sobald ich ihn und seine kilikischen Söldner aus Kappadokien vertrieben habe, werde ich seine neue Straße zerstören — nein, ich werde das Gebirge darauf stürzen!«
»Wunderbar ausgedrückt, großer König!« schmeichelte Gordios.
Der König grunzte verächtlich. Er ging zu seinem Pferd, stieg auf den Rücken eines knieenden Sklaven und schwang sich in den Sattel. Dann stieß er das Pferd in die Seiten und galoppierte davon, ohne sich darum zu kümmern, ob sein Gefolge bereit war. Gordios kletterte hastig auf sein Pferd und ritt dem König eilends nach. Neoptolernos beobachtete die Reiter, bis sie in der Ferne verschwanden.
Es war schwierig, dem König fremde Gedanken nahezubringen, dachte Neoptolemos. Hatte er das mit der Straße überhaupt begriffen? Warum fiel ihm das so schwer? Er selbst verstand es doch auch! Sie stammten beide aus Pontos und waren nicht im Ausland erzogen worden, sie kamen aus ähnlichen Verhältnissen, schließlich waren sie verwandt. Tatsächlich kam der König viel weiter herum als er. Und doch konnte Mithridates blind sein für die Bedeutung von Ereignissen, die er, Neoptolemos, sofort erkannte. Andere Dinge erkannte der König schneller. Sein Verstand arbeitete anders. Sie dachten verschieden. Vielleicht arbeitete der Verstand eines Menschen anders, wenn er ein Herrscher war? Sein Vetter Mithridates war kein Narr. Es war wirklich schade, daß er die Römer so wenig verstand. Natürlich würde der König das bestreiten, aber er war gar nicht daran interessiert, die Römer zu verstehen. Die meisten seiner Folgerungen basierten auf seinen bizarren Abenteuern in der Provinz Asia, aber das war keine gute Grundlage, auch wenn er vom Gegenteil überzeugt war. Wie konnten die anderen ihn dazu bringen, zu erkennen, was sie erkannten?
Der König hielt sich nicht lange im blauen Palast von Eusebeia Mazaka auf. Am Tag nach seiner Ankunft führte er sein Heer von hunderttausend Mann in die Richtung, in der Sullas Lager war. Hier brauchte man sich keine Sorgen um den Zustand der Straße zu machen! Zwar mußte gelegentlich ein Hügel überwunden und die seltsamen Schluchten mit den Tuffsäulen umgangen werden, aber der Weg war für die marschierenden Soldaten einfach. Mithridates war mit seinem Marschtempo zufrieden; er legte täglich zwanzig Meilen zurück. Daß ein römisches Heer auf ähnlichem straßenlosen Gelände mehr als die doppelte Entfernung hätte zurücklegen können, ohne sich sonderlich zu verausgaben, hätte er nur geglaubt, wenn er es mit eigenen Augen gesehen hätte.
Aber Sulla regte sich nicht. Sein Lager befand sich mitten in einer riesigen Ebene. Er hatte die Zeit genutzt, das Lager gründlich zu befestigen. Da Wälder hier in Kappadokien fehlten, hatte das Holz von der Kilikischen Pforte herbeigeschafft werden müssen. Als Mithridates am Horizont auftauchte, erblickte er ein Bauwerk, das vollkommen quadratisch war und eine Fläche von rund zweiunddreißig Stadien im Quadrat umschloß. Davor lagen gewaltige Erdwälle, auf denen drei Meter hohe spitze Palisaden aufragten. Vor den Wällen lagen drei Gräben — der äußere Graben war sechs Meter breit und mit Wasser gefüllt, der mittlere Graben war über vier Meter breit und mit scharfen Pfählen gespickt, und der innere Graben war wieder sechs Meter breit und enthielt Wasser. Wie die Späher dem König berichteten, befand sich auf jeder Seite ein Tor, zu dem ein Weg über die Gräben führte. Die Tore befanden sich in der Mitte jeder Seite des Bauwerks.
Zum ersten Mal in seinem Leben erblickte Mithridates ein römisches Lager. Er wollte den Mund vor Erstaunen aufreißen, doch fühlte er zu viele Blicke auf sich ruhen. Er war sicher, daß er das römische Lager einnehmen konnte — aber nur unter großen Verlusten. Also schlug er sein Lager auf und ritt dann hinaus, um sich Sullas Festung aus der Nähe anzusehen.
»Mein Herr und König, ein Herold der Römer will mit dir sprechen«, meldete einer seiner Offiziere. Der König war langsam an einer Seite des von Sulla hervorragend befestigten Lagers entlanggeritten.
»Was wollen die Römer?« Stirnrunzelnd betrachtete Mithridates den Erdwall, die Palisaden und die Wachtürme, die in kurzen Abständen errichtet worden waren.
»Der Prokonsul Lucius Cornelius Sulla wünscht eine Unterredung.«
»Ich bin
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