MoR 02 - Eine Krone aus Gras
einverstanden. Wo und wann?«
»Auf dem Weg, der zum Haupteingang des römischen Lagers führt — das ist der Weg zu deiner Rechten, großer König. Nur du und Sulla, sagte der Herold.«
»Wann?«
»Jetzt, großer König.«
Der König stieß sein Pferd in die Seiten und lenkte es nach rechts. Er war begierig, diesen Lucius Cornelius Sulla kennenzulernen. Angst hatte er keine. Was er über die Römer wußte, ließ ihn keinen Verrat fürchten. Er mußte nicht damit rechnen, von einem Speer getroffen zu werden, wenn er unbewaffnet zu einer Verhandlung ging. Als er den Weg erreichte, glitt er vom Pferd. Doch dann hielt er inne, verärgert über seine eigene Dummheit. Er durfte nicht noch einmal zulassen, so behandelt zu werden, wie Gaius Marius ihn behandelt hatte — von oben herab! Deshalb stieg er wieder auf sein Pferd. Diesmal würde er auf Lucius Cornelius Sulla herabblicken! Aber das Pferd weigerte sich, den schmalen Weg zu betreten, und es rollte beim Anblick der breiten Gräben auf beiden Seiten unruhig mit den Augen. Einen Augenblick lang versuchte der König, das Pferd unter Kontrolle zu bringen, aber er mußte feststellen, daß er dabei nur noch lächerlicher wirkte. Er glitt erneut vom Pferd und ging allein die Hälfte des Weges. Rechts und links von sich sah er den Graben, aus dem die spitzen Pfähle wie Zähne aufragten.
Das Tor wurde einen Spalt weit geöffnet. Ein Mann zwängte sich hindurch und ging auf den König zu. Erfreut stellte der König fest, daß der Römer im Vergleich zu seiner eigenen stattlichen Körpergröße recht klein war. Aber der Römer war trotzdem gut gebaut. Er trug einen schmucklosen, seinem Oberkörper nachgebildeten Brustpanzer aus Metall, einen doppelten Rock aus Lederstreifen, pteryges genannt, und eine scharlachrote Tunika. Von seinen Schultern hing ein ebenfalls scharlachroter Feldherrenmantel. Eine Kopfbedeckung trug er nicht; sein rotgoldenes Haar glänzte in der Sonne und wehte im leichten Wind. König Mithridates konnte seine Augen nicht von den Haaren des Römers abwenden, denn er hatte in seinem ganzen Leben noch nie Haare dieser Farbe gesehen, nicht einmal bei den keltischen Galatiern. Auch die schneeweiße Haut, die zwischen dem Rocksaum knapp oberhalb der Knie des Römers und den robusten, schmucklosen Stiefeln an beeindruckend muskulösen Waden zu sehen war, erregte seine Aufmerksamkeit. Schneeweiße Haut sah der König auch an den Armen, am Nacken und im Gesicht des Römers. Schneeweiß! Keine Spur von Farbe darin!
Dann war Lucius Cornelius Sulla so nahe herangekommen, daß der König sein Gesicht sehen konnte. Und seine Augen. Der König erschauerte. Apollo! Apollo hatte sich als Römer verkleidet! Das Antlitz war so ausdrucksvoll, so göttlich, so ehrfurchterregend und majestätisch — es war nicht das Antlitz einer glattgesichtigen, weinerlichen griechischen Statue, sondern es zeigte den Gott, wie er wirklich sein mußte, so lange nach seiner Zeugung. Ein Mann im Zenit seines Lebens, ein Machtmensch. Ein Römer. Ein Römer!
Sulla war völlig selbstsicher zu der Unterredung mit dem König gekommen. Er hatte sich von Gaius Marius dessen Begegnung mit dem König von Pontos schildern lassen und beide hatten das Format des Königs richtig eingeschätzt. Sulla hatte allerdings nicht daran gedacht, daß schon seine Erscheinung den König verstören könnte — deshalb begriff er jetzt nicht, weshalb der König so verwirrt war. Der Grund spielte auch gar keine Rolle. Sulla beschloß, den unerwarteten Vorteil zu nutzen.
»Was suchst du in Kappadokien, König Mithridates?« fragte er.
»Kappadokien gehört mir«, antwortete der König, aber nicht in dem donnernden Ton, den er beabsichtigt hatte, bevor er den römischen Apollo erblickt hatte. Seine Stimme klang vielmehr klein und schwach; er wußte es und haßte sich dafür.
»Kappadokien gehört dem kappadokischen Volk.«
»Die Kappadokier gehören zum selben Stamm wie das Volk von Pontos.«
»Wie kann das sein, da doch die Kappadokier die Ahnenreihe ihrer Könige über Hunderte von Jahren und ebenso lange wie die Könige von Pontos zurückverfolgen können?«
»Ihre Könige waren Fremde, keine Kappadokier.«
»Fremde?«
»Sie waren Seleukiden aus Syrien.«
Sulla zuckte die Achseln. »Dann ist es seltsam, König Mithridates, daß in meinem Lager ein kappadokischer König weilt, der überhaupt nicht wie ein Seleukide aus Syrien aussieht. Er sieht auch dir nicht ähnlich.! Und er stammt auch nicht aus
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