MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Plätzen geleitet, daß sie jetzt nicht darauf bestehen konnten, Sullas Stuhl müsse auf derselben Höhe wie ihre eigenen Stühle stehen. Ein solches Verhalten wäre ihrer Würde abträglich gewesen.
»Gesandte des Königs der Parther und König Tigranes, ich heiße euch zu dieser Unterredung willkommen«, sagte Sulla von oben herab. Es bereitete ihm großes Vergnügen, sie mit seinen fremdartigen, hellen Augen zu verwirren.
»Dies ist nicht deine Unterredung, Römer«, brauste Tigranes auf. »Ich habe meine Oberherren gerufen!«
»Ich bitte um Verzeihung, König, aber dies ist meine Unterredung«, sagte Sulla lächelnd. »Du bist zu meinem Lager gekommen, und auf meine Einladung hin.« Er gab Tigranes keine Zeit zu antworten, sondern wandte sich an die Partner auf der anderen Seite und lächelte sie mit seinem besten Wolfslächeln an. »Ihr Herren aus Parthien, wer führt eure Gesandtschaft an?«
Der ältere Mann im ersten Stuhl nickte würdevoll mit dem Kopf. »Ich führe die Gesandtschaft, Lucius Cornelius Sulla. Mein Name ist Orobazos, und ich bin der Satrap von Seleukeia am Tigris. Ich unterstehe direkt dem König der Könige, Mithridates von Parthien. Er bedauert, daß Zeit und Entfernung ihm nicht ermöglichten, hierher zu kommen.«
»Er hält sich in seinem Sommerpalast in Ekbatana auf, nicht wahr?« fragte Sulla.
Orobazos blinzelte verdutzt. »Du bist gut informiert, Lucius Cornelius Sulla. Ich wußte nicht, daß unsere Aufenthaltsorte in Rom so gut bekannt sind.«
»Es genügt, wenn du mich mit Lucius Cornelius anredest, Fürst Orobazos«, sagte Sulla. Er beugte sich leicht nach vorn, hielt aber seinen Rücken absolut gerade. In seiner Haltung verschmolzen Anmut und Macht zu einer Einheit, wie es einem Römer entsprach, der eine hochwichtige Besprechung leitete. »Dies ist eine historische Stunde, Fürst Orobazos. Es ist das erste Mal, daß Botschafter des Königreichs der Parther mit einem Botschafter Roms zusammentreffen. Es paßt gut, daß das Treffen an einem Fluß stattfindet, der die Grenze zwischen unseren beiden Welten bildet.«
»So ist es, Fürst Lucius Cornelius«, sagte Orobazos.
»Nicht Fürst, nur einfach Lucius Cornelius«, sagte Sulla. »In Rom gibt es weder Fürsten noch Könige.«
»Das haben wir schon gehört, aber es erscheint uns sehr seltsam. Ihr folgt also dem griechischen Staatsgedanken. Wie konnte Rom zu solcher Größe wachsen, wenn kein König die Regierung leitet? Bei den Griechen ist es einfach — sie wurden nie groß, weil sie keinen obersten König hatten. Sie splitterten sich in Hunderte von Kleinstaaten auf, die sich gegenseitig bekriegten. Rom aber handelt so, als hätte es einen obersten König. Wie konnte solche Macht entstehen, obwohl ihr keinen König habt, Lucius Cornelius?«
»Unser König heißt Rom, Fürst Orobazos, aber wir geben Rom das weibliche Geschlecht, Roma. Die Griechen unterwarfen sich einem Ideal. Ihr unterwerft euch einem Mann, eurem König. Aber wir Römer unterwerfen uns Rom, und nur Rom. Wir beugen unsere Knie vor keinem Sterblichen, Fürst Orobazos, und wir beugen sie auch nicht vor einem abstrakten Ideal. Rom ist unsere Göttin, unsere Königin, unser Leben. Und obwohl jeder Römer danach trachtet, seinen Ruhm zu vermehren und in den Augen der anderen Römer größer zu werden, geschieht auf lange Sicht alles nur, um Rom zu erhöhen und groß zu machen. Wir verehren eine Stadt, Fürst Orobazos. Nicht einen Menschen. Nicht ein Ideal. Menschen kommen und gehen, ihre Zeit auf Erden ist vergänglich. Ideale verändern und wandeln sich mit jedem neuen philosophischen Wind. Aber eine Stadt kann ewig sein, solange ihre Einwohner für sie sorgen, sie nähren, sie immer größer machen. Ich, Lucius Cornelius Sulla, bin ein großer Römer. Aber am Ende meines Lebens wird das, was ich getan habe, die Macht und Majestät meiner Stadt erhöhen — die Macht Roms. Ich bin heute nicht aus eigenem Antrieb hier, auch nicht im Auftrag eines anderen Menschen. Ich bin hier im Auftrag meiner Stadt — im Auftrag Roms! Wenn wir heute einen Vertrag schließen, wird er im Tempel des Jupiter Feretrius aufbewahrt werden, im ältesten Tempel Roms, und dort wird er bleiben — er wird nicht mein Besitz sein, er wird nicht einmal meinen Namen tragen. Er wird ein Zeugnis der Macht Roms sein.«
Sulla sprach gut. Er sprach attisches Griechisch und hatte eine wohlklingende Aussprache, viel besser als das Griechisch der Parther oder des Tigranes. Und sie hörten ihm
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